Die Eisprinzessin schläft
Anders’ Schreibblock verlassen. Er hatte hoch und heilig versprochen, sich etwas öfter bei Robert zu melden, und er hoffte, daß er sein Versprechen einhalten würde. Leider kannte er sich viel zu gut.
Die Fahrt nach Hause war von Nachdenklichkeit geprägt. Er liebte es, im Dunkeln zu fahren. Die Stille, wenn ihn die samtschwarze Nacht umschloß, nur unterbrochen von den Lichtern einzelner entgegenkommender Autos, ließ ihn sehr viel klarer denken. Stück für Stück fügte er das, was er bereits wußte, zu dem, was er jetzt auf dem Papier gelesen hatte, und als er in die Auffahrt des Hauses in Tanumshede bog, war er sich ziemlich sicher, zumindest eins der Rätsel, das ihn plagte, gelöst zu haben.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich ohne Erica ins Bett zu legen. Schon komisch, wie schnell man sich an etwas gewöhnen konnte, wenn es nur etwas Schönes war, und er stellte fest, daß es ihm jetzt schwerfiel, allein einzuschlafen. Es hatte ihn gewundert, wie groß seine Enttäuschung gewesen war, als Erica ihn auf dem Heimweg auf dem Handy anrief, um ihm zu sagen, daß ihre Schwester überraschend zu Besuch gekommen sei und es wohl besser wäre, wenn er zu Hause bei sich übernachtete. Er hatte noch mehr fragen wollen, aber an Ericas Stimme gehört, daß sie nicht antworten konnte, und sich deshalb damit begnügt zu sagen, daß sie morgen telefonieren würden und er sie vermisse.
Jetzt behinderten Bilder von Erica und die Gedanken an all die Dinge, die er am morgigen Tag erledigen mußte, seinen Schlaf, und die Nacht wurde für Patrik sehr lang.
Als die Kinder am Abend eingeschlummert waren, bekamen sie beide endlich Gelegenheit zum Reden. Erica hatte schnell etwas Fertiges aus dem Tiefkühler aufgetaut, weil Anna so aussah, als müßte sie ein bißchen was in den Magen bekommen. Außerdem hatte sie selbst vergessen zu essen, und jetzt plagte sie der Hunger.
Anna stocherte meist nur mit der Gabel im Essen, und Erica empfand die übliche Sorge um die kleine Schwester. Genau wie damals, als sie Kinder waren, wollte sie Anna in die Arme nehmen, sie hin und her wiegen und sagen, daß alles gut werden würde, wollte ein Küßchen auf die schmerzende Stelle drücken, so daß das Schlimme verschwand. Aber sie waren jetzt erwachsen, und Annas Probleme überstiegen bei weitem den Schmerz einer Schürfwunde am Knie. Diesen Dingen gegenüber war Erica hilflos und ohnmächtig. Zum erstenmal in ihrem Leben erschien ihr die Schwester wie eine Fremde, und sie fühlte sich unbeholfen und unsicher und wußte nicht, wie sie mit ihr reden sollte. Also saß sie schweigend da und wartete darauf, daß Anna ihr den Weg zeigte. Die tat es erst nach geraumer Zeit.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Erica. Was wird aus den Kindern und mir? Wo sollen wir hin? Wie soll ich uns ernähren? Ich bin so lange zu Hause gewesen und kann nichts.«
Erica sah, daß Anna den Tisch umklammerte, als wollte sie die Situation physisch in den Griff bekommen.
»Ach, denk jetzt nicht daran. Das wird schon werden. Jetzt mußt du erst mal einen Tag nach dem anderen nehmen, und du kannst ja, so lange du willst, mit den Kindern hier bleiben. Das Haus gehört schließlich auch dir, ist doch so.«
Sie erlaubte sich ein schiefes Lächeln und sah zu ihrer Freude, daß Anna es erwiderte. Anna wischte sich mit dem Handrücken leicht die Nase und fingerte nachdenklich am Tischtuch herum.
»Ich kann mir nur selber nicht verzeihen, daß es so weit gekommen ist. Er hat Emma weh getan, wie konnte ich zulassen, daß er Emma weh tut?« Die Nase begann wieder zu laufen, und sie nahm diesmal das Taschentuch. »Warum habe ich das zugelassen? Habe ich vielleicht gewußt, daß so etwas passieren würde, aber aus eigener Bequemlichkeit einfach die Augen zugemacht?«
»Anna, wenn ich etwas hundertprozentig weiß, dann ist es, daß du nie absichtlich zulassen würdest, daß jemand deinen Kindern etwas antut.« Erica beugte sich über den Tisch und nahm Annas Hand. Die war erschreckend dünn. Man wurde an Vogelknochen erinnert, die zerbrachen, wenn man zu fest zupackte.
»Was ich auch nicht verstehen kann, ist, daß ich ihn irgendwo in mir, trotz allem, was er getan hat, immer noch liebe. Ich habe Lucas so lange geliebt, daß diese Liebe wie ein Stück von mir geworden ist, das zu dem, was ich bin, dazugehört, und egal, was er auch getan hat, so kann ich dieses Stück einfach nicht loswerden. Am liebsten würde ich ein Messer nehmen und es mir aus dem Körper
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