Die Eisprinzessin schläft
war wichtiger gewesen als das. Es rangierte sogar vor dem Glück und Wohlbefinden der eigenen Tochter. Er konnte die Schuld an dieser Entscheidung nicht allein Birgit zuschieben. Sie war immer diejenige von ihnen gewesen, der es vor allem darauf ankam, wie sich die Dinge nach außen darstellten. Nach Jahren der Selbstprüfung mußte er sich jedoch eingestehen, daß er sich ihrem Willen gefügt hatte, weil er selbst es wünschte, die Fassade zu wahren. Er spürte ein saures Aufstoßen im Hals, schluckte ausgiebig und redete weiter: »Nachdem sie das Kind bekommen hatte, meldeten wir sie im Internat an, fuhren zurück nach Göteborg und setzten unser Leben fort.«
Jedes Wort triefte vor Bitterkeit und Selbstverachtung. In Birgits Augen stand Zorn, vielleicht sogar Haß, als sie ihn durchdringend anstarrte, um ihn durch ihre Willenskraft zum Schweigen zu bringen. Aber er hatte gewußt, daß der Prozeß im selben Moment in Gang gekommen war, als man Alex tot in der Wanne fand. Er hatte gewußt, daß man nachforschen, jeden Stein umdrehen und alles, was darunter kroch, ins Sonnenlicht ziehen würde. Es war besser, sie selbst erzählten die Wahrheit mit ihren eigenen Worten. Oder mit seinen Worten, wie es jetzt wohl geschah. Vielleicht hätten sie es früher tun müssen, aber den Mut hatte er erst allmählich aufbringen können. Patrik Hedströms Anruf war der letzte Schubs gewesen, den er gebraucht hatte.
Er wußte, daß noch vieles ungesagt war, aber Müdigkeit legte sich wie eine Decke über ihn, und er wollte, daß Patrik die Sache übernahm. Er konnte die Fragen stellen, die alle Lücken schließen würden. Karl-Erik lehnte sich in seinem Sessel zurück und umklammerte die Armlehnen. Henrik kam Patrik zuvor. Seine Stimme zitterte spürbar. »Warum habt ihr nichts erzählt? Warum hat Alex nichts erzählt? Ich wußte, daß sie etwas vor mir verbarg, aber das hier?«
Karl-Erik hob resigniert die Hände. Es gab nichts, das er dem Mann seiner Tochter sagen konnte.
Patrik hatte hart gekämpft, um seine Professionalität zu wahren, aber es war ihm anzusehen, daß er erschüttert war. Er hob den Stift auf, der ihm aus der Hand gefallen war, und versuchte, sich auf den Block zu konzentrieren. »Wer war es, der sich an Alex vergriffen hat? War es jemand in der Schule?«
Karl-Erik nickte nur.
»War es .« Patrik zögerte. »War es Nils Lorentz?«
»Wer ist Nils Lorentz?« fragte Henrik.
Birgit antwortete ihm mit einem eisigen Klang in der Stimme. »Er war Hilfslehrer an der Schule. Er ist der Sohn von Nelly Lorentz.«
»Aber wo ist er jetzt? Er muß ja wohl im Gefängnis gelandet sein für das, was er Alex angetan hat?«
Es sah aus, als hätte Henrik hart zu kämpfen, um das zu verstehen, was Karl-Erik erzählt hatte.
»Er verschwand vor fünfundzwanzig Jahren. Keiner hat ihn seitdem gesehen. Aber ich hätte gern auch eine Antwort darauf, warum er nie angezeigt worden ist. Ich habe in unseren Archiven gesucht, und da gibt es keinerlei Meldung gegen ihn.«
Karl-Erik schloß die Augen. Patriks Aussage war nicht als Vorwurf gemeint, dennoch empfand er es so. Jedes Wort stach ihn wie eine Nadel in die Haut und erinnerte ihn an den furchtbaren Irrtum, den sie vor fünfundzwanzig Jahren begangen hatten.
»Wir haben keine Anzeige erstattet. Als wir dahinterkamen, daß Alex schwanger war, und sie erzählt hat, was passiert ist, raste ich zu Nelly Lorentz hoch und teilte ihr mit, was ihr Sohn gemacht hat. Ich hatte absolut vor, ihn bei der Polizei anzuzeigen, und das habe ich Nelly auch gesagt, aber .«
»Aber Nelly ist gekommen und hat mit mir geredet, hat vorgeschlagen, wir sollten die Sache ohne Polizei lösen. Sie sagte, es gäbe keinen Grund, Alex noch weiter zu demütigen, indem ganz Fjällbacka sich über das Geschehene den Mund zerriß. Wir konnten nicht anders, als ihr zuzustimmen, und kamen zu dem Schluß, daß es Alex weit mehr dienen würde, wenn wir es in der Familie regelten. Nelly versprach, sich in geeigneter Weise um Nils zu kümmern«, sagte Birgit, die kerzengerade auf dem Sofa saß.
»Nelly hat mir auch eine sehr gut bezahlte Stelle hier in Göteborg besorgt. Ich vermute, wir waren keine guten Menschen, da dieses Versprechen von Gold und Geld uns blenden konnte.« Karl-Erik war schonungslos ehrlich zu sich selbst. Die Zeit des Leugnens war vorbei.
»Damit hatte das nichts zu tun. Wie kannst du so was sagen, Karl-Erik! Wir hatten nur das Beste unserer Tochter vor Augen. Was hätte es ihr gebracht, wenn
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