Die Eisprinzessin schläft
Meinung hat er schon vorher keine Rücksicht genommen, und ich sehe nicht, warum er das diesmal tun sollte.«
»Was für ein Scheiß, den sollte ich bloß im Dunkeln erwischen, dann würde er nicht mehr so auf den Putz hauen.«
Dan knallte die Faust auf den Tisch, und Erica zweifelte keine Sekunde daran, daß er Lucas, wenn er es wirklich wollte, eine gehörige Abreibung verpassen könnte. Dan war schon als Teenager von kräftiger Statur gewesen, und die schwere Arbeit auf dem Fischkutter hatte seinen Körper weiter gestählt, doch die sanften Augen widersprachen dem Eindruck, daß er ein harter Bursche sei. Soweit Erica wußte, hatte er seine Hand nie gegen ein lebendes Wesen erhoben.
»Ich will nicht zuviel sagen, denn eigentlich weiß ich nicht genau, wie meine Lage ist. Morgen werde ich meine Freundin Marianne, die Anwältin ist, anrufen und mich erkundigen, was ich für Möglichkeiten habe, den Verkauf zu verhindern, aber heute abend will ich am liebsten nicht daran denken. Außerdem hatte ich in den letzten Tagen so einiges um die Ohren, was alle meine Gedanken über den materiellen Besitz recht nebensächlich erscheinen läßt.«
»Ja, ich habe gehört, was passiert ist.« Er verstummte. »Wie war das, jemanden so zu sehen?«
Erica überlegte, was sie antworten sollte. »Traurig und schrecklich zugleich. Ich hoffe, daß ich so was nie wieder erleben muß.«
Sie erzählte von dem Nachruf, an dem sie saß, und von den Gesprächen, die sie mit Alexandras Mann und deren Kollegin geführt hatte. Dan hörte schweigend zu.
»Was ich nicht begreife, ist, warum sie die wichtigsten Menschen in ihrem Leben einfach ausgeschlossen hat. Du hättest ihren Mann sehen sollen, er betete sie an. Aber so ist es wohl bei den meisten Menschen. Sie lächeln und sehen fröhlich aus, aber eigentlich haben sie jede Menge Sorgen und Probleme.«
Dan unterbrach sie abrupt. »Du, das Spiel beginnt in zirka drei Sekunden, und ich ziehe ein Eishockeyspiel wirklich deinen pseudophilosophischen Kommentaren vor.«
»Da besteht keine Gefahr. Außerdem habe ich ein Buch mitgebracht, falls das Spiel langweilig werden sollte.«
Dans Blick war mörderisch, bevor er das spöttische Blitzen in Ericas Augen wahrnahm.
Sie kamen gerade rechtzeitig zum Anpfiff ins Wohnzimmer.
Marianne nahm beim ersten Klingeln ab. »Marianne Svan.«
»Hallo, hier ist Erica.«
»Hallo, wir haben ja lange nichts voneinander gehört. Wie schön, daß du anrufst. Wie geht’s dir? Ich habe so viel an dich gedacht.«
Erneut wurde Erica daran erinnert, daß sie sich in letzter Zeit nicht gerade viel um ihre Freunde gekümmert hatte. Ihr war klar, daß sie sich Sorgen um sie machten, aber im letzten Monat war sie nicht einmal richtig imstande gewesen, sich bei Anna zu melden. Sie wußte jedoch, daß die anderen es verstanden.
Mit Marianne war sie seit der Universitätszeit befreundet. Sie hatten zusammen Literatur studiert, aber nach fast vier Jahren Studium war Marianne dahintergekommen, daß sie nicht dazu berufen war, Bibliothekarin zu werden, und deshalb hatte sie umgesattelt und war jetzt Anwältin. Eine erfolgreiche, wie sich zeigen sollte, denn inzwischen war sie trotz ihrer jungen Jahre Partnerin in einer der größten und angesehensten Kanzleien von Göteborg.
»Ach, danke, den Umständen entsprechend wohl ganz gut. Langsam bekomme ich das Leben wieder in den Griff, aber natürlich ist da immer noch ‘ne Menge auf die Reihe zu bringen.«
Marianne hatte noch nie viel übrig gehabt für leeres Geschwätz, und mit ihrer unfehlbaren Intuition begriff sie sofort, daß es auch nicht das war, was Erica wollte. »Also, was kann ich für dich tun, Erica? Ich hör’ doch, daß irgendwas ist, also versuch’s nicht erst.«
»Ja, ich schäme mich wirklich, daß ich mich erst so lange nicht gemeldet habe und daß ich jetzt, wo ich schließlich anrufe, deine Hilfe brauche.«
»Also, sei nicht albern! Womit kann ich dir helfen? Gibt es Probleme mit dem Nachlaß?«
»Ja, das kann man wahrhaftig sagen.« Erica saß am Küchentisch und fingerte an dem Brief herum, der mit der Morgenpost gekommen war. »Anna, oder besser gesagt: Lucas will das Haus in Fjällbacka verkaufen.«
»Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein!« Marianne, die normalerweise die Ruhe selbst war, explodierte. »Was glaubt dieser Scheißkerl eigentlich, wer er ist? Ihr liebt doch dieses Haus!«
Erica fühlte plötzlich einen Stich in der Brust und brach in Tränen aus. Marianne beruhigte
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