Die Eisprinzessin schläft
hatte, jedes Wochenende nach Fjällbacka gekommen war, oder ob sie in Göteborg noch eine weitere Beziehung gehabt hatte.
Ericas Eindruck war, daß Alex in einer Art parallelen Existenz gelebt hatte. Sie tat, was sie wollte, ohne zu überlegen, welchen Einfluß das auf die ihr Nahestehenden und vor allem auf Henrik hatte. Erica ahnte, daß es Francine schwerfiel, zu verstehen, wie Henrik eine Ehe unter diesen Voraussetzungen akzeptieren konnte, sie glaubte sogar, daß Francine ihn dafür verachtete. Sie selbst begriff leider viel zu gut, wie diese Mechanismen funktionierten, hatte sie doch Annas und Lucas’ Ehe seit vielen Jahren studiert.
Wenn sie an Annas Unfähigkeit dachte, ihre Lebenssituation zu verändern, bedrückte es sie am meisten, daß sie sich die Frage stellen mußte, ob sie nicht einen Anteil an Annas fehlender Selbstachtung hatte. Erica war fünf Jahre alt gewesen, als Anna geboren wurde. Vom ersten Augenblick an, als sie die kleine Schwester gesehen hatte, war Erica entschlossen gewesen, sie vor der Wirklichkeit zu beschützen, die sie selbst wie eine unsichtbare Wunde mit sich herumtrug. Anna sollte sich nie einsam und verstoßen fühlen, weil die Mutter ihren Töchtern keine Liebe geben konnte. Die Umarmungen und zärtlichen Worte, die Anna von ihrer Mutter nicht bekam, brachte Erica im Überfluß auf. Mit mütterlicher Sorge wachte sie über die kleine Schwester.
Anna war ein Kind, das es einem leicht machte, es zu lieben. Sie kümmerte sich nicht um die betrüblicheren Aspekte des Lebens und verbrachte jeden Augenblick im Heute. Erica, die altklug und oft ängstlich war, faszinierte die Energie, mit der Anna jede Minute ihres Lebens liebte. Diese nahm Ericas Fürsorge ruhig hin, hatte jedoch selten die Geduld, längere Zeit auf ihrem Schoß zu sitzen, um mit sich schmusen zu lassen. Sie wuchs zu einem wilden Teenager auf, der einfach machte, wozu er Lust hatte. Sie war ein unbeschwertes, ganz auf sich bezogenes Kind.
Als Anna Lucas kennenlernte, war sie eine leichte Beute für ihn. Sie ließ sich von seiner Fassade faszinieren und sah nie die dumpfen Farben, die sich darunter verbargen. Schritt für Schritt hatte er ihr Lebensfreude und Selbstvertrauen genommen, indem er an ihre Eitelkeit appellierte. Jetzt saß sie wie ein schöner Vogel in seinem Käfig im oberen Östermalm und hatte nicht die Kraft, sich ihren Irrtum einzugestehen. Jeden Tag hoffte Erica, daß Anna aus eigenem Antrieb die Hand ausstrecken und die Schwester um Hilfe bitten würde. Bis dahin konnte Erica nicht mehr tun, als zu warten und einfach nur dazusein.
Es war nicht etwa so, daß sie selbst mehr Glück mit ihren Geschichten hatte. Eine ganze Reihe kaputter Beziehungen und großer Versprechungen lagen hinter ihr. Meist war sie es gewesen, die die Sache beendet hatte. Wenn sie in einer Beziehung an einem gewissen Punkt angekommen war, legte sich irgendwas quer. Ein Panikgefühl, so stark, daß sie kaum Luft bekam, packte sie, und die Folge war, daß sie Sack und Pack nahm und aufbrach, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Paradoxerweise hatte Erica dennoch, solange sie denken konnte, große Sehnsucht nach einer Familie und nach Kindern gehabt, aber jetzt war sie fünfunddreißig, und die Jahre gingen dahin.
Verdammt, den ganzen Tag hatte sie die Gedanken an Lucas verdrängen können, aber jetzt machte die Sache sie kribbelig, und sie wußte, daß sie herausfinden mußte, wie gefährlich die Situation eigentlich war. Im Moment war sie viel zu müde, um sich damit zu beschäftigen. Das mußte bis morgen warten. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich den Rest des Tages zu erholen, ohne an Lucas oder Alexandra Wijkner denken zu müssen.
Sie wählte eine der einprogrammierten Nummern auf ihrem Handy.
»Hallo, hier ist Erica. Seid ihr heute abend zu Hause? Ich wollte mal kurz vorbeischauen.«
Dan lachte herzlich. »Und ob wir zu Hause sind! Weißt du nicht, was heute abend stattfindet?«
Das auf diese Frage folgende Schweigen am anderen Ende der Leitung zeugte von totalem Schock. Erica dachte gründlich nach, aber konnte sich an nichts erinnern, was den Abend hervorhob. Es war kein Feiertag, niemand hatte Geburtstag, Dan und Pernilla hatten im Sommer geheiratet, also konnte es auch nicht der Hochzeitstag sein.
»Nein, ich habe überhaupt keine Ahnung. Klär mich auf.«
Ein schwerer Seufzer erklang, und der sagte Erica, daß das große Ereignis mit Sport zu tun haben mußte. Dan war ein großer Sportfanatiker, was, wie
Weitere Kostenlose Bücher