Die Eisprinzessin schläft
Fingern bediente sie die Taste, die die zuletzt angerufene Nummer wiederholte, und betete, daß der Apparat von niemandem nach Alex’ Tod benutzt worden war.
Nach siebenmaligem Klingeln wollte sie gerade auflegen, als endlich eine Mailbox ansprang. Sie lauschte der Mitteilung, legte dann aber auf, bevor das Piepzeichen ertönte. Ihr Gesicht war bleich, und sie konnte fast hören, wie es in ihrem Kopf rasselte, als die Puzzleteile auf ihren Platz fielen. Plötzlich wußte sie genau, was aus dem Schlafzimmer im Obergeschoß fehlte.
Mellberg kochte vor Wut. Er tobte wie eine Furie durchs Revier, und wenn es möglich gewesen wäre, hätten seine Mitarbeiter Deckung unter ihren Schreibtischen gesucht. Doch erwachsene Menschen taten so etwas nicht, und so mußten sie einen ganzen Tag mit wilden Flüchen, Beschimpfungen und Schmähungen höchst allgemeiner Art über sich ergehen lassen. Annika bekam das meiste ab, und obwohl sie sich in den Monaten unter Mellbergs Regie ein dickes Fell zugelegt hatte, war sie zum erstenmal seit langem den Tränen nahe. Nachmittags gegen vier hatte sie genug. Sie floh aus dem Büro, machte am Konsum halt, kaufte eine große Packung Eis, ging nach Hause, stellte eine Serie im Fernsehen an und ließ die Tränen auf das Schokoladeneis kullern. Es war einfach so ein Tag.
Es ärgerte Mellberg bis zum Wahnsinn, daß er Anders hatte aus der Haft entlassen müssen. Er fühlte mit jeder Faser seines Leibes, daß Anders der Mörder von Alex Wijkner war, und hätte man ihm nur noch etwas mehr Zeit mit ihm allein gegeben, dann hätte er die Wahrheit ganz bestimmt aus ihm herausbekommen. Statt dessen zwang man ihn, Anders freizulassen, und das wegen einer verdammten Zeugin, die behauptete, sie hätte ihn nach Hause kommen sehen, kurz bevor im Fernsehen die Serie »Verschiedene Welten« begann. Das bedeutete, Anders war um sieben in seiner Wohnung gewesen, Alex aber hatte Viertel nach sieben mit Birgit gesprochen. Es war zum Haare-Ausreißen.
Dann war da dieser junge Bursche, dieser Patrik Hedström. Der dauernd versuchte, ihm eine Menge Grillen in den Kopf zu setzen, nämlich daß jemand anders als Nilsson die Frau ermordet hatte. Nein, eins hatte er in all den Jahren bei der Polizei wirklich gelernt, nämlich daß es meist genau so war, wie es zu sein schien. Keine verborgenen Motive, keine komplizierten Komplotte. Nur Pack, das anständigen Bürgern das Leben unsicher machte. Finde das Pack, dann hast du den Täter, das war seine Parole.
Er wählte die Nummer von Patrik Hedströms Handy. »Verdammt, wo bist du?« Keine Höflichkeitsfloskeln bei dem Herrn.
»Hockst du irgendwo rum und drehst Däumchen? Wir im Revier hier arbeiten nämlich. Machen Überstunden. Ich weiß nicht, ob dir dieses Phänomen bekannt vorkommt. Wenn nicht, kann ich dafür sorgen, daß du es auch nicht mehr kennenlernen mußt. Jedenfalls nicht an diesem Ort.«
Er hatte jetzt ein besseres Gefühl im Bauch, wo er den jungen Spund ein bißchen heruntergeputzt hatte. Man mußte diese jungen Hähne kurzhalten, sonst schwoll ihnen der Kamm.
»Ich will, daß du zu der Zeugin fährst, die Anders Nilsson gegen sieben zu Hause lokalisiert hat. Setze sie unter Druck, drehe ihr ein bißchen den Arm um, und sieh zu, was du rauskriegen kannst - ja, verdammt, jetzt!«
Er knallte den Hörer auf und genoß die Umstände des Lebens, die ihm eine Position beschert hatten, in der er andere mit der Drecksarbeit beauftragen konnte. Plötzlich erschien ihm die Welt sehr viel freundlicher. Mellberg lehnte sich in seinem Stuhl zurück, öffnete die oberste Schreibtischschublade und nahm eine Packung Schokoladenbälle heraus. Mit seinen kleinen Wurstfingern nahm er einen davon und stopfte ihn genießerisch und im Ganzen in den Mund. Als er mit dem Kauen fertig war, griff er nach einem zweiten. Hart arbeitende Männer wie er brauchten schließlich Brennstoff.
Patrik war bereits nach Tanumshede über Grebbestad abgebogen, als Mellberg anrief. Jetzt fuhr er in die Einfahrt von Fjällbackas Golfplatz und wendete. Er seufzte tief. Es ging auf den späten Nachmittag zu, und er hatte im Revier jede Menge Arbeit liegen. Er hätte nicht so lange in Fjällbacka bleiben sollen, aber mit Erica zusammenzusein übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn aus. Es war, als wäre er in ein Magnetfeld geraten, und um daraus wieder loszukommen, mußte er sowohl Kraft als auch Willensstärke aufbringen. Noch ein tiefer Seufzer. Diese Sache konnte nur auf
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