Die Eisprinzessin schläft
musterte. Eine Sicherheitskette wurde entfernt, und die Tür öffnete sich.
»Ja?«
Eine Frau mit einem etwa einjährigen Kind auf dem Arm öffnete. Sie war sehr schmal und stark blondiert. Nach dem Haaransatz zu urteilen, lag ihre natürliche Haarfarbe irgendwo zwischen Dunkelbraun und Schwarz, was durch ein paar nußbraune Augen bestätigt wurde. Ihr Gesicht war ungeschminkt und wirkte müde. Sie trug eine abgetragene Jogginghose mit ausgebeulten Knien und ein T-Shirt mit einem großen Adidas-Logo auf der Brust.
»Jenny Rosen?«
»Ja, das bin ich. Worum geht es?«
»Ich heiße Patrik Hedström und komme von der Polizei. Sie haben uns heute vormittag angerufen, und ich würde mit Ihnen gern über die Angaben sprechen, die Sie gemacht haben.«
Er sprach mit leiser Stimme, damit es in der Wohnung gegenüber nicht zu hören war.
»Kommen Sie herein.« Sie trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen.
Die Wohnung war klein, hatte nur ein Zimmer, und es wohnte definitiv kein Mann hier. Jedenfalls keiner, der älter als ein Jahr war. Die Räume waren eine Explosion in Rosa. Teppiche, Tischdecken, Gardinen, Lampen, alles war rosa. Schleifen waren außerdem ein beliebtes Thema, unzählige verzierten Lampen und Kerzenleuchter. An den Wänden hingen Bilder, die den Hang der Wohnungsinhaberin zur Romantik noch zusätzlich unterstrichen. Frauengesichter in soften Farben und davor Vögel im Flug. Sogar ein Bild mit einem weinenden Kind befand sich über dem Bett.
Sie nahmen auf einem weißen Ledersofa Platz, und Jenny bot ihm glücklicherweise keinen Kaffee an. Davon hatte er für heute genug. Den Jungen nahm sie auf den Schoß, aber er wand sich aus ihrem Griff und wurde auf den Boden gesetzt, wo er unsicher umhertapste.
Patrik fiel auf, wie jung sie war. Sie konnte kaum aus dem Teenageralter heraus sein, er vermutete, daß sie so um die Achtzehn war. Aber er wußte, daß es in diesen kleinen Orten nicht ungewöhnlich war, daß man schon ein oder zwei Kinder hatte, bevor man überhaupt zwanzig war. Da sie das Kind mit Max ansprach, war auch klar, daß der Vater nicht bei ihnen wohnte. Auch das war nicht gerade ungewöhnlich. Beziehungen zwischen Teenagern konnten der Belastung, die ein Baby mit sich brachte, oft nicht standhalten.
Er nahm seinen Notizblock zur Hand. »Es war also am Freitag vorletzter Woche, am Fünfundzwanzigsten, als Sie Anders Nilsson gegen sieben nach Hause kommen sahen. Wieso sind Sie sich des Zeitpunkts so sicher?«
»Ich verpasse >Verschiedene Welten< nie. Die Serie fängt um sieben an, und es war kurz vorher, als ich draußen auf dem Gang einen Riesenlärm hörte. Wirklich nicht ungewöhnlich, kann ich Ihnen sagen. Bei Anders ist immer eine Menge Zoff. Seine Saufkumpane kommen und gehen zu allen Tageszeiten, und manchmal taucht auch die Polizei auf. Ich bin jedenfalls an die Tür gelaufen und habe durch den Spion geguckt, und da habe ich ihn gesehen. Er hat stinkbesoffen versucht, die Tür aufzuschließen, aber das Schlüsselloch hätte einen Meter breit sein müssen. Am Ende bekam er die Tür auf und ging in die Wohnung, und in dem Moment hörte ich die Erkennungsmelodie der Serie und beeilte mich, vor den Fernseher zu kommen.«
Sie kaute nervös an einer Strähne ihres langen Haars. Patrik sah, daß die Nägel weit abgeknabbert waren und daß Reste von knallrosa Nagellack auf den Fingernagelstümpfen klebten.
Max war zielbewußt um den Sofatisch gerobbt, um zu Patrik zu gelangen, und packte ihn jetzt triumphierend am Hosenbein.
»Hoch, hoch, hoch«, quengelte er, und Patrik schaute seine Mutter fragend an.
»Ja, nehmen Sie ihn nur hoch. Er mag Sie anscheinend.«
Patrik hob den Jungen unbeholfen auf seinen Schoß und gab ihm das Schlüsselbund zum Spielen. Das Kind strahlte wie die Sonne. Es lächelte Patrik übers ganze Gesicht an und präsentierte zwei Schneidezähne, die wie kleine Reiskörner aussahen. Patrik erwischte sich dabei, genauso breit zurückzulächeln. Irgend etwas vibrierte in seiner Brust. Hätten sich die Dinge anders entwickelt, könnte er zu diesem Zeitpunkt einen eigenen Knirps auf dem Schoß halten. Er strich Max behutsam übers flaumige Haar.
»Wie alt ist er?«
»Elf Monate. Er hält mich beschäftigt, kann ich Ihnen sagen.« Ihr Gesicht leuchtete vor Zärtlichkeit, als sie ihren Sohn ansah, und jetzt, wo Patrik hinter ihre müde Oberfläche blicken konnte, sah er plötzlich, wie hübsch sie war. Er konnte sich kaum vorstellen, wie stressig es sein mußte, in ihrem
Weitere Kostenlose Bücher