Die Eisprinzessin schläft
und zwar von beiden Seiten. Er selbst hatte es schon nach ihrer ersten Begegnung bei einem Universitätstreffen für ausländische Studenten ernst gemeint. Nicht nur, daß sie groß und blond war, sie umgab außerdem eine Aura der Unnahbarkeit, die ihn mehr anzog als sonst irgend etwas im Leben. Er hatte noch nie etwas so heiß begehrt, wie er Alex begehrte. Und er war es gewohnt, alles zu bekommen, was er haben wollte. Seine Eltern waren viel zu beschäftigt mit dem eigenen Leben, als daß sie irgendwelche Energien auf das seine verschwenden konnten.
Die Zeit, die nicht von der Firma beansprucht wurde, war mit unzähligen gesellschaftlichen Verpflichtungen ausgefüllt. Mit Wohltätigkeitsbällen, Cocktailpartys, Geschäftsessen. Henrik durfte brav mit dem Kindermädchen zu Hause bleiben, und was er von seiner Mutter am besten in Erinnerung hatte, war der Geruch ihres Parfüms, wenn sie ihn zum Abschied küßte, in Gedanken bereits unterwegs zu irgendeinem rauschenden Fest. Als Entschädigung hatte er nur auf etwas zu zeigen brauchen, um es auch schon zu bekommen. Nichts Materielles war ihm versagt worden, doch hatte man es mit Gleichgültigkeit gegeben, so als kraulte man mit abwesendem Blick einen Hund, der um Aufmerksamkeit bettelt.
Alex war daher das erste in seinem Leben, das er nicht einfach bekam, indem er darum bat. Sie war unerreichbar und abweisend und daher unwiderstehlich. Unverdrossen und mit Nachdruck hatte er um sie geworben. Rosen, Einladungen zum Essen, Geschenke und Komplimente. Keine Mühen wurden gespart. Und sie hatte sich widerstrebend den Hof machen, sich in eine Beziehung leiten lassen. Nicht unter Protest, er hatte sie nie zu etwas zwingen können, doch mit Gleichgültigkeit.
Erst als er sie im Sommer das erste Mal mit nach Göteborg nahm und sie beide das Haus auf Särö betreten hatten, war sie zum aktiven Partner in ihrer Beziehung geworden. Sie erwiderte seine Umarmungen mit neuer Intensität, und er war glücklicher als je zuvor. Nach nur wenigen Monaten Bekanntschaft heirateten sie noch im selben Sommer hier in Schweden, und nachdem sie dann in Frankreich das letzte Universitätsjahr nebst Examen absolviert hatten, zogen sie endgültig in dieses Haus.
Jetzt, als er in die Vergangenheit zurückblickte, begriff er, daß er sie nur dann richtig glücklich gesehen hatte, wenn sie sich mit dem Haus beschäftigte. Er setzte sich in einen der großen Chesterfieldsessel in der Bibliothek, legte den Kopf zurück und schloß die Augen. Bilder von Alex flimmerten vorbei wie von einem alten Super-8-Film. Er spürte das Leder kühl und rauh unter den Fingern und folgte einem verschlungenen, dem Alter geschuldeten Riß.
Woran er sich vor allem erinnerte, war ihr so unterschiedliches Lächeln. Wenn sie ein Möbelstück für das Haus gefunden hatte, das genau ihren Vorstellungen entsprach, oder wenn sie mit dem Messer eine Tapete weggeschnitten hatte und darunter die Originaltapete in gutem Zustand entdeckte, dann hatte sie froh und innig gelächelt. Wenn er sie auf den Nacken geküßt, ihre Wange gestreichelt oder ihr gesagt hatte, wie sehr er sie liebte, dann lächelte sie auch, manchmal. Ja, manchmal, aber nicht immer. Diese Art Lächeln begann er allmählich zu hassen, ein abwesendes, zerstreutes, nachsichtiges Lächeln. Danach drehte sie sich stets weg, und er konnte sehen, wie sich ihre Geheimnisse gleich Schlangen unter der Oberfläche bewegten.
Er hatte nie gefragt. Aus reiner Feigheit. Er hatte gefürchtet, eine Kettenreaktion auszulösen, deren Konsequenzen er nicht annehmen konnte. Es war besser, sie wenigstens physisch an seiner Seite zu haben und darauf zu hoffen, daß sie ihm eines Tages ganz gehören würde. Er war bereit, das Risiko einzugehen, nie alles zu bekommen, um wenigstens sicher zu sein, daß er einen Teil behielt. Ein kleines Stück von Alex war genug. So sehr liebte er sie.
Er ließ den Blick durch die Bibliothek schweifen. Die Bücher, die alle Wände bedeckten und die sie mühevoll in Göteborgs Antiquariaten zusammengesucht hatte, waren nur zum Anschauen da. Außer den Lehrbüchern in der Universität hatte er sie nie ein Buch lesen sehen. Vielleicht hatte sie genug an dem eigenen Schmerz und brauchte nicht von dem anderer zu lesen.
Was zu akzeptieren ihm am schwersten fiel, war das Kind. Sobald er die Sprache auf Kinder gebracht hatte, war ihre Antwort nur ein heftiges Kopfschütteln gewesen. Sie wollte keine Kinder in eine Welt setzen, hatte sie gesagt, die so
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