Die Eisprinzessin schläft
aussah, wie sie es nun mal tat.
Den Mann hatte er akzeptiert. Henrik wußte, daß Alex nicht so eifrig Woche für Woche nach Fjällbacka gefahren war, um dort allein zu sein. Damit konnte er leben. Ihr gemeinsames Sexualleben hatte schon seit über einem Jahr nicht mehr existiert. Auch damit hatte er leben können. Er würde, im Laufe der Zeit, sogar lernen können, mit ihrem Tod zu leben. Nicht akzeptieren konnte er jedoch, daß sie bereit gewesen war, das Kind eines anderen Mannes zu gebären, das seine aber nicht. Die Sache verfolgte ihn Nacht für Nacht. Schweißgebadet warf er sich hin und her, ohne jede Hoffnung auf Schlaf. Das Ergebnis waren dunkle Ringe unter den Augen, und er hatte bereits mehrere Kilo Gewicht verloren. Er fühlte sich wie ein Gummiband, das immer weiter und weiter gedehnt wurde, bis es früher oder später einen Punkt erreichte, an dem es mit einem Knall zerriß. Bisher hatte er ohne Tränen getrauert, doch jetzt beugte Henrik Wijkner sich vor, legte das Gesicht in die Hände und weinte.
5
Die Anschuldigungen, die harten Worte, die Beleidigungen, alles lief wie Wasser von ihm ab. Was waren ein paar Stunden Beschimpfungen gegen Jahre voller Schuld. Was gegen ein Leben ohne seine Eisprinzessin.
Er lachte über seine melodramatischen Versuche, die Schuld allein auf sich zu nehmen. Dazu gab es keinen Grund. Solange er einen solchen Grund nicht sah, würde das auch nicht gelingen.
Aber vielleicht hatte sie recht gehabt. Vielleicht war der Tag der Abrechnung nun gekommen. Im Unterschied zu ihr wußte er, daß derjenige, der das Urteil sprach, nicht aus Fleisch und Blut war. Das einzige, was ihn verurteilen konnte, war ein Wesen, größer als der Mensch, größer als das Fleisch, etwas im gleichen Wert mit der Seele. Der einzige, der mich verurteilen kann, ist jener, der meine Seele sieht, dachte er.
Es war sonderbar, wie gänzlich entgegengesetzte Gefühle zu völlig neuen Empfindungen werden konnten. Liebe und Haß wurden zu Gleichgültigkeit. Rachsucht und Vergebung zu Entschlossenheit. Zärtlichkeit und Bitterkeit zu Trauer, die so groß war, daß sie einen Mann vernichten konnte. Für ihn war Alex immer eine seltsame Mischung aus Licht und Dunkelheit gewesen. Ein Janusgesicht, das mal verurteilte, mal verstand. Manchmal überdeckte sie ihn mit heißen Küssen trotz seiner Widerwärtigkeit. Dann wieder schmähte und haßte sie ihn wegen der gleichen Eigenschaft. Es gab keine Ruhe und keinen Frieden in all der Gegensätzlichkeit.
Das letzte Mal, als er sie sah, hatte er sie am meisten geliebt. Endlich war sie die Seine. Endlich gehörte sie ihm ganz, endlich konnte er über sie verfügen, wie es ihm gefiel. Sie lieben oder hassen. Ohne daß sie seiner Liebe erneut mit Gleichgültigkeit begegnete.
Zuvor war es gewesen, als liebte man einen Schleier. Einen aus den Händen gleitenden, durchsichtigen, verführerischen Schleier. Das letzte Mal, als er sie sah, war die Mystik verschwunden, und nur das Fleisch war geblieben. Und dadurch wurde sie erreichbar. Zum erstenmal meinte er zu spüren, wer sie war. Er hatte ihre steif gefrorenen Glieder berührt und ihre Seele wahrgenommen, die noch immer in dem frostigen Gefängnis pulsierte. Nie hatte er sie so geliebt wie in diesem Moment. Nun war es an der Zeit, dem Schicksal zu begegnen, Auge in Auge. Er hoffte, es würde sich als verzeihend erweisen. Doch glaubte er nicht wirklich daran.
Das Telefon weckte sie. Daß die Leute nicht zu vernünftigen Zeiten anrufen konnten.
»Erica hier.«
»Hallo, ich bin es, Anna.« Ihre Stimme klang abwartend. Mit Recht, fand Erica.
»Hallo.« Erica hatte nicht vor, sie so leicht davonkommen zu lassen.
»Wie steht’s?« Anna bewegte sich vorsichtig auf vermintem Terrain.
»Ja, gut, danke. Und dir?«
»Doch, ganz okay. Wie läuft’s mit dem Buch?«
»Mal so und mal so. Aber es geht jedenfalls voran. Alles in Ordnung mit den Kindern?« Erica beschloß, wenigstens ein bißchen entgegenkommend zu sein.
»Emma hat eine gehörige Erkältung, aber Adrians Bauchkrämpfe scheinen nachzulassen. Also jetzt kann ich nachts wenigstens mal ein Stündchen schlafen.«
Anna lachte, aber Erica meinte in ihrer Fröhlichkeit einen bitteren Ton zu vernehmen.
Eine Weile blieb es still.
»Du, wir müssen über die Sache mit dem Haus reden.«
»Ja, das finde ich auch.« Jetzt war Erica an der Reihe, bitter zu klingen.
»Wir müssen es verkaufen, Erica. Wenn du uns nicht auszahlen kannst, müssen wir es
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