Die Eissphinx
haben.
Jem West hatte die Segelfläche verkleinern lassen. Bram-und Stagsegel waren eingezogen worden und die »Halbrane« lief nur noch unter einem Mars-und einem Klüversegel, die ja hinreichten, um die Strecke bis zum Lande in wenigen Stunden zurückzulegen.
Der Kapitän Len Guy ließ auch eine Sondierung vornehmen, die noch hundertzwanzig Faden Wasser ergab. Weitere Sondierungen ließen vermuthen, daß die vor uns liegende Küste ganz steil in große Tiefe abfallen mochte. Da im Grunde immerhin eine Erhöhung aufsteigen konnte, die nicht in sanfter Abdachung mit dem Ufer zusammenhing, segelten wir nur mit der Sonde in der Hand weiter.
Ein Wink des Lieutenants brachte sie zum Schweigen. (S. 296).
Das Wetter blieb schön, wenn sich der Horizont von Südost bis Südwest auch mit leichten Dünsten verschleierte. Freilich erschwerte uns das einigermaßen das Erkennen des Landprofils, das wie eine hinziehende Nebelwolke am Himmel erschien und einmal verschwand oder wieder sichtbar wurde, wenn die Dünste gelegentlich zerrissen. Immerhin glaubten wir, die Höhe des Landes, wenigstens in seinen Gipfeln, auf fünfundzwanzig bis dreißig Toisen veranschlagen zu können.
Nein… wir konnten jetzt keiner Täuschung unterliegen, obwohl wir eine solche noch immer befürchteten. Es ist ja ganz natürlich, daß einem das Herz gerade in der Nähe des letzten Zieles von bangen Ahnungen erfüllt wird. Wie viele Hoffnungen knüpften sich an diese nur unsicher erkennbare Küste und welche Entmuthigung mußte uns befallen, wenn sie sich doch nur als ein Phantom, als wesenloser Schatten erwies! Bei einem solchen Gedanken schwindelte es mir im Kopfe und verwirrten sich meine Vorstellungen. Es erschien mir, als ob die »Halbrane« zusammenschrumpfte, sich zu einem auf unermeßlichem Oceane verlorenen Boote verkleinerte… ganz entgegengesetzt zur Schilderung Edgar Poë’s, bei dem das Schiff wuchs… größer wurde, wie ein lebendes Wesen….
Hat man Seekarten zur Hand, die über die Hydrographie der Küsten, über die Natur der Landungsstellen, über Baien und Buchten Auskunft geben, so mag man wohl mit einiger Kühnheit darauf zufahren. In jeder andern Gegend wäre ein Kapitän, der erst bis zum andern Morgen gewartet hätte, um nahe dem Ufer vor Anker zu gehen, der Feigheit geziehen worden. Hier galt es aber, die größte Vorsicht zu beobachten, wenn auch kein sichtbares Hinderniß vor uns lag. Die Atmosphäre konnte während der sonnenhellen Nachtstunden übrigens auch nicht an Klarheit verlieren. Zu dieser Zeit versank das Strahlengestirn noch nicht unter dem westlichen Horizonte und ununterbrochen badete sich das weite Polarbecken in seinem glänzenden Lichte.
Aus dem Schiffsjournal ergab sich, daß die Lufttemperatur von diesem Tage an fortwährend abnahm. Das Thermometer zeigte im Schatten nicht mehr als zweiunddreißig Grad Fahrenheit (0° Celsius), ins Wasser getaucht aber nur sechsundzwanzig Grad (+ 3·33° Celsius), ohne daß wir uns erklären konnten, was im vollen südlichen Sommer diese Temperaturerniedrigung verursachte.
Jedenfalls mußte die Mannschaft die Wollenkleidung wieder hervorholen, die seit der Durchschiffung des Packeises, also vor einem Monat, abgelegt worden war. Die Goëlette lief damals freilich direct vor dem Winde und der erste Frost war deshalb weniger fühlbar gewesen. Immerhin wies obige Erscheinung darauf hin, daß es allmählich Zeit wurde, ans Ziel zu gelangen. Es wäre eine Herausforderung des Himmels gewesen, in dieser Gegend unnöthiger Weise zu zögern und sich den Gefahren einer Ueberwinterung auszusetzen.
Der Kapitän Len Guy ließ wiederholt mittels schwerer Sonden die Richtung der Strömung untersuchen, und dabei ergab es sich, daß diese von der bisherigen abzuweichen begann.
»Ob wir ein Festland oder nur eine Insel vor uns haben, sagte er, läßt sich bis jetzt in keiner Weise entscheiden. Ist es aber ein Festland, so dürfen wir annehmen, daß die Strömung im Südosten desselben einen Ausweg findet….
– Und es ist in der That möglich, bemerkte ich, daß der feste Theil des antarktischen Gebiets nur aus einer einfachen Polarkappe besteht, deren Rand wir umschiffen könnten. Jedenfalls empfiehlt es sich, diejenigen Beobachtungen aufzuzeichnen, die eine gewisse Verläßlichkeit bieten….
– Das hab’ ich gethan, Herr Jeorling, und wir werden über diesen Theil des Südpolarmeeres eine Menge Angaben mit heimbringen, die andern Seefahrern von Nutzen sein
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