Die Eissphinx
Seitenwände drohten fast auseinander zu fallen und durch mehr als eine Fuge drang schon Wasser ein. Immer hatten einige Leute mit dem Ausschöpfen desselben zu thun, und dazu herrschte noch ein genügend, ja ein schon gar zu hoher Seegang, der gelegentlich Sturzwellen über das Dahlbord wälzte.
Trotzdem stand nur eine schwache Brise, das Meer war immerhin noch ruhiger als wir es erwartet hatten, und die wirkliche Gefahr für uns lag also vorläufig nicht in den begleitenden Umständen der Fahrt.
Nein, sie lag darin, daß in diesen Gewässern kein Schiff zu erblicken war, daß sich kein Walfänger mehr in den Fischgründen hier aufzuhalten schien. In den ersten Tagen des April wurde diese Gegend schon verlassen – wir kamen um einige Wochen zu spät hierher!
Wie später verlautete, hätte es auch genügt, einige Wochen früher hier zu sein, um sogar die Schiffe der amerikanischen Expedition zu treffen.
In der That durchforschte noch am 21. Februar der Lieutenant Wilkes unter 95°50’ der Länge und 64°17’ der Breite diese Meere mit einem seiner Schiffe, der »Vincennes«, nachdem er eine Küstenstrecke aufgenommen hatte, die sich von Osten nach Westen über siebzig Längengrade hin ausdehnte. Da sich dann aber die schlechte Jahreszeit ankündigte, drehte er um und segelte nach Hobart-Town in Tasmanien zurück.
In demselben Jahre hatte die Expedition des französischen Kapitäns Dumont d’Urville, die 1838 aufgebrochen war, bei einem zweiten Versuche, bis zum Südpole zu gelangen, am 21 Januar unter 66°30’ der Breite und 38°21’ östlicher Länge Adelienland, ferner am 29. Januar unter 64°30’ und 129°54’ die Claireküste entdeckt. Nach Erlangung dieser wichtigen Ergebnisse hatten dann die »Astrolabe« und die »Zélée« den Antarktischen Ocean verlassen und waren ebenfalls nach Hobart-Town zurückgesegelt.
In der hiesigen Gegend befand sich von diesen Schiffen also keines mehr. Deshalb mußten wir wohl, als die »Paracuta«, diese Nußschale, allein jenseit des Packeises auf dem grenzenlosen öden Meere schwankte, glauben, daß uns keine Rettung bescheert sein werde.
Fünfzehnhundert Seemeilen trennten uns noch von den nächstgelegenen Ländern und obendrein hatte der Winter nun schon seit einem Monat seine Herrschaft angetreten.
Selbst Hurliguerly mußte wohl oder übel zugestehen, daß die letzte tröstliche Aussicht, auf die er gerechnet hatte, allmählich verblaßte.
Am 6. April waren wir am Ende unserer Hilfsmittel. Der Wind begann stark aufzufrischen und das heftig umhergeschleuderte Boot lief Gefahr, von jeder Woge verschlungen zu werden.
»Ein Schiff!«
Der Ausruf kam vom Hochbootsmann, und sofort bemerkten wir auch, etwa vier Seemeilen im Nordosten, ein Fahrzeug, das eben unter dem aufsteigenden Nebel sichtbar wurde.
Jetzt gaben wir augenblicklich, so gut es anging, Signale und diese wurden zum Glück wahrgenommen. Nachdem das Schiff gegengebraßt hatte, setzte es sein großes Boot ins Meer, um uns abzuholen.
Es war der »Tasman«, ein amerikanischer Dreimaster aus Charlestown, auf dem wir mit wohlthuender Herzlichkeit empfangen wurden. Der Kapitän desselben behandelte meine Gefährten, als ob es seine eigenen Landsleute gewesen wären.
Der »Tasman« kam von den Falkland-Inseln, wo er gehört hatte, daß die englische Goëlette »Halbrane« vor sieben Monaten zur Aufsuchung der Schiffbrüchigen von der »Jane« nach den südlichen Meeren abgesegelt sei. Als die Goëlette nun bei vorschreitender Jahreszeit nicht wieder erschien, hatte man angenommen, daß sie im Südpolargebiete mit Mann und Maus zugrunde gegangen wäre.
Der letzte Theil der Fahrt verlief nun ebenso schnell wie glücklich. Vierzehn Tage später landete der »Tasman« in Melbourne, in der Provinz Victoria von Neuholland, Alle, die von der Besatzung der beiden Goëletten lebend davon gekommen waren, und hier wurden an unsere Leute auch die Prämien ausgezahlt, die sie so reichlich verdient hatten.
Aus den Seekarten ersahen wir da, daß die »Paracuta« nach dem Großen Ocean zwischen Dumont d’Urville’s Claire-Land und dem von Belleny 1838 entdeckten Fabricia-Land herausgekommen war.
So endete diese abenteuerliche und außergewöhnliche Fahrt, die leider gar zu viele Opfer an Menschenleben gekostet hatte. Und, um das nicht unerwähnt zu lassen, wenn der Zufall und der Zweck dieser Reise uns nach dem Südpole viel weiter als alle unsere Vorgänger hinaufführte, wenn wir sogar über den Endpunkt der
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