Die Eissphinx
nach dem Indischen, wenn nicht dem Atlantischen Ocean zu gelangen, das wäre eine Tollkühnheit gewesen, die sich kein Seefahrer erlauben konnte. Schloß ein Land das Meer nach dieser Seite hin ab, so kam die Goëlette in die größte Gefahr, von Eisbergen umlagert zu werden, und war nicht in der Lage, im südlichen Winter davon wieder frei zu kommen.
Unter solchen Umständen versuchen zu wollen, den Kapitän Len Guy zur Fortsetzung der Reise zu bestimmen, war von vornherein ganz aussichtslos. Man konnte es auch gar nicht vorschlagen gegenüber der zwingenden Nothwendigkeit, nach Norden zurückzukehren und keinen Tag länger im Antarktischen Meere zu zaudern. War ich auch entschlossen, dem Kapitän Len Guy gar nicht hiervon zu sprechen, so konnte ich es doch nicht unterlassen, den Hochbootsmann hierüber auszuhorchen.
Hurliguerly pflegte mich nach gethaner Arbeit gern aufzusuchen und wir plauderten und riefen unsere Erinnerungen von dieser Reise wieder wach.
Als wir so eines Tags, den Blick nach dem trügerischen Horizont gerichtet, ganz oben auf dem Eisberge saßen, rief der Hochbootsmann:
»Wer hätte jemals geglaubt, Herr Jeorling, als die »Halbrane« vor sechs Monaten die Kerguelen verließ, daß sie sechs Monate später und in dieser Breite auf dem Abhange eines Eisbergs gefangen sitzen sollte!
– Ja, und das ist um so bedauerlicher, antwortete ich, als wir ohne diesen Unfall unser Ziel jetzt schon erreicht gehabt hätten und auf der Rückfahrt begriffen wären.
– Ich widerspreche dem nicht gänzlich, entgegnete der Hochbootsmann, doch Sie sagten, daß wir dann unser Ziel erreicht hätten. Wollen Sie damit sagen, daß unsere Landsleute aufgefunden worden wären?
– Vielleicht, Hochbootsmann.
– Na, ich kann es kaum glauben, Herr Jeorling, obgleich das der hauptsächlichste, sogar der einzige Zweck unserer Fahrt durch das Polarmeer war.
– Der einzige… ja… wenigstens zu Anfang, schaltete ich ein. Doch seit den Mittheilungen des Mestizen über Arthur Pym…
– Ah, das liegt Ihnen immer noch im Sinne, Herr Jeorling, ganz wie dem wackern Dirk Peters?
– Noch immer, Hurliguerly, und es bedurfte eines so beklagenswerthen, so unwahrscheinlichen Unfalls, der uns fast im Hafen stranden ließ….
– Ich lasse Ihnen Ihre Illusionen, Herr Jeorling, und da Sie meinen, daß wir so gut wie im Hafen gestrandet wären….
– Warum das nicht?
– Zugegeben, jedenfalls war das eine noch kaum dagewesene Strandung! erklärte der Hochbootsmann. Statt auf eine ehrliche Untiefe aufzulaufen, in der Luft auf die Küste zu gerathen!…
– Ich bin doch auch zu sagen berechtigt, daß das ein sehr unglücklicher Zufall ist….
– Unglücklich ohne Zweifel, meiner Ansicht nach läßt sich daraus aber eine Lehre ziehen…
– Eine Lehre?… Welche denn?
– Daß es nicht statthaft ist, sich so weit in diese Gebiete hineinzuwagen, und daß der Schöpfer es seinen Creaturen verwehren wollte, bis auf die Pole zu kriechen.
– Dieses Ziel liegt aber jetzt nur noch sechzig Meilen entfernt…
– Gewiß, Herr Jeorling. Freilich sind diese sechzig Meilen so gut wie tausend, wenn man kein Mittel hat, sie zurückzulegen!… Und gelingt es nicht, die Goëlette zu Wasser zu bringen, so sind wir zu einer Ueberwinterung verurtheilt, an der auch die Polarbären keine Freude hätten!«
Ich antwortete nur mit einem Achselzucken, das Hurliguerly nicht mißverstehen konnte.
»Wissen Sie, woran ich am häufigsten denke, Herr Jeorling? fragte er mich.
– Nun, woran denn, Hochbootsmann?
– An die Kerguelen, wohin wir kaum wieder kommen werden! In der schlechten Jahreszeit war’s ja dort recht anständig kalt; darin ist kein großer Unterschied zwischen diesem Archipel und den Inseln nahe der Grenze des Polarmeers! Doch immerhin, man befindet sich dort in der Nähe des Caps, und wenn man sich einmal die Beine wärmen will, liegt einem keine Packeiswand im Wege, während sich hier, inmitten des Eises, der Teufel zurechtfinden mag, und dann weiß man nicht einmal, ob auch die Thür offen ist.
– Ich wiederhole Ihnen, Hochbootsmann, daß ohne den traurigen Zwischenfall jetzt alles auf die eine oder die andere Art ein Ende hätte. Uns blieben dann noch sechs Wochen, um aus den südlichen Meeren herauszukommen.
Eingedrückt, zerschlagen, versank die Halbrane. (S. 336.)
Alles in Allem ist es gewiß sehr selten, daß ein Schiff in so mißliche Lage geräth, wie unsere Goëlette, und es ist das ein desto
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