Die Eissphinx
vielleicht ebensowenig gewachsen war, wie seinerzeit die »Jane«?
Ja, in dieser Beziehung war gewiß die Vorsicht die Mutter der Weisheit, wenn wir auch der Vorsehung vertrauten. Sie hatte ja schon einmal in so auffälliger Weise zu unseren Gunsten eingegriffen, und die uns von Gott anvertraute Sendung wollten wir durchführen, soweit das menschlicher Kraft und Einsicht möglich war!
»So ein Vogel wiegt ein Masthuhn auf, Herr Jeorling.« (S. 150.)
Von den gleichen Empfindungen erfüllt, theilte die Mannschaft der Goëlette auch die gleiche Hoffnung – ich beziehe mich hierbei auf die alten Leute an Bord, deren Hingebung für ihren Kapitän erprobt war. Die neuen Mannschaften mochten der Sache vielleicht ganz oder doch nahezu theilnahmslos gegenüberstehen, wenn sie nur die für die Fahrzeit ausbedungene Heuer erhielten.
Das behauptete wenigstens der Hochbootsmann, wobei er übrigens für Hunt eine Ausnahme gelten ließ Dieser Mann schien nicht um des Lohnes oder einer späteren Prämie willen Dienst genommen zu haben. Jedenfalls ließ er davon kein Wort verlauten und sprach überhaupt mit niemand über irgend etwas.
»Ich meine, er denkt an dergleichen gar nicht, sagte Hurliguerly zu mir. Ich werde schon noch aus ihm klug werden! In seinen Reden geht er freilich nicht weiter, als ein Schiff, das vor seinem Hauptanker liegt.
– Wenn er mit Ihnen nicht spricht, Hochbootsmann, so that er es noch weniger mit mir.
– Ich habe da eine Idee… was, meinen Sie, mag der Sonderling in seinem Leben schon gethan haben?
– Nun… was denn?
– Er wird weit in die südlichen Meere hineingekommen sein… ja… sehr weit, obgleich er darüber schweigt, wie der Karpfen im Siedekessel. Warum er nicht spricht… na, das ist am Ende seine Sache. Doch wenn dieser Seeigel nicht über den Südpolarkreis hinaus und vielleicht seine zehn Grade noch weiter hinausgefahren ist, da soll mich doch die nächste überschlagende Welle gleich über die Reling hinwegspülen.
– Woran wollen Sie das gemerkt haben, Hochbootsmann?
– An seinen Augen, Herr Jeorling, an seinen Augen!… Die Goëlette mag gerade steuern, wohin es auch sei, sie bleiben stets nach Süden gerichtet… es sind Augen, die nie unerwartet aufleuchten, sondern wie Positionslichter still glänzen.«
Hurliguerly übertrieb damit nicht, ich hatte das auch schon beobachtet. Hunt hatte, um den Ausdruck Edgar Poë’s zu gebrauchen, funkelnde Falkenaugen.
»Wenn er nicht beschäftigt ist, fuhr der Hochbootsmann fort, dann lehnt dieser Wilde die ganze Zeit über der Schanzkleidung. Wahrlich, er gehörte eigentlich für immer an den Vordersteven, wo er als Gallion der »Halbrane« dienen könnte!… Ein verdächtiges Gesicht, das er hat!… Und wenn er einmal am Ruder steht, Herr Jeorling, dann betrachten Sie ihn nur aufmerksam!… Seine gewaltigen Hände klammern sich an die Griffe des Rades, als wären Sie daran festgenietet. Sein Blick liegt auf dem Compaßhäuschen, als würde er von der Magnetnadel angezogen. Ich meine doch auch ein tüchtiger Steuermann zu sein, an Kraft kann ich mich mit Hunt aber nicht messen. Bei ihm schwankt die Nadel auch nicht um einen halben Strich aus der rechten Richtung, das Wasser mag nun so wild sein, wie es will!… Ich sage Ihnen… in der Nacht… wenn die Laterne für den Compaß verlöschte, Hunt brauchte sie gar nicht wieder anzuzünden. Schon mit dem Feuer seiner Pupillen würde er die Scheibe beleuchten und sich im rechten Curse halten!«
Der Hochbootsmann wollte sich in meiner Gesellschaft offenbar für die mangelnde Beachtung entschädigen, die der Kapitän Len Guy und Jem West seinen endlosen Schwätzereien zu schenken pflegten. Hatte sich Hurliguerly über Hunt eine etwas über das Ziel hinausschießende Anschauung gebildet, so muß ich doch zugeben, daß die Haltung dieser sonderbaren Persönlichkeit ihn dazu berechtigte. Man konnte ihn thatsächlich der Kategorie halb-phantastischer Wesen zugesellen, und wenn Edgar Pon ihn gekannt hatte, erschien es erklärlich, daß er ihn zum Typus seiner außergewöhnlichsten Helden stempelte.
Mehrere Tage lang ging unsere Fahrt – ohne jeden Unfall, doch auch ohne jede Unterbrechung ihrer Eintönigkeit – unter den günstigsten Umständen weiter fort. Bei mäßig frischem Ostwind erreichte die Goëlette ihre größtmögliche Geschwindigkeit, was man aus dem langen, flachen und regelmäßigen Kielwasser erkannte, das sich mehrere Seemeilen weit hinter ihr
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