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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Buder
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Kapitels über Bundy schrieb der Autor: Wir haben Bundy hingerichtet, doch er selbst sagte kurz vor seiner Hinrichtung, dass er nur einer von vielen ist, die unter euch leben.
    Alice klappte das Buch zu. Das Telefon klingelte.
    »Alice, können wir uns treffen?« Tom sprach leise, so als wäre er nicht allein.
    »Heute ist Weihnachten. Bist du nicht zu Hause bei deinen Eltern?«
    »Meinen Eltern würde nicht einmal auffallen, wenn ich füreine Woche verschwinde. Sie sind so mit der Weihnachtsfeier des Hotels beschäftigt. Aber es gibt da etwas …«
    »Ich weiß nicht, ob ich wegkann«, flüsterte Alice. Ihr Vater telefonierte mit seinem Handy.
    »Es ist wichtig. Ich glaube, es geschieht etwas im Dorf.«
    »Was ist los, Tom?«
    »Ich kann nicht reden. In einer halben Stunde bei der verkohlten Maria.«
    »Ich möchte noch ans Grab meiner Mutter …«
    »Bei dem Schnee? Außerdem sieht uns da jeder.«
    »Dann bei der verkohlten Maria.«
    Die ängstliche Stimme Toms beunruhigte sie. Tom gehörte nicht zu den mutigen Kämpfern. Er hatte Angst vor allem und jedem, aber er hatte sie noch nie angerufen, weil er Angst hatte. Tom hatte nicht nur Angst, er hatte auch Angst, Angst zu haben. Dabei hatte er immer ein merkwürdig kindliches Lachen. Heute war jedoch kein Lachen in seiner Stimme, nur Zittern.
    Er ist einer von vielen, die unter euch leben.
    Von der verkohlten Maria hatte Alice den besten Ausblick über das Dorf. Sie trat auf der Stelle. Die Kälte kroch im Stehen unbemerkt unter ihren Anorak und in ihre Winterstiefel. Tom kam wie immer zu spät. Sie fror sich die Beine blau, weil er nicht von seinem Computer wegkam. In Gedanken erriet sie die Ausrede, die ihm diesmal einfallen würde – wie in der Schule: Der Mercedes meines Vaters hatte einen Motorschaden … Dabei holte ihn sein Vater mit dem Wagen von der Schule ab, der Herr Direktor vom »Alpblick«. Der Mann, den keiner im Dorf mochte und dem jeder die Hand schüttelte. Wenn Tom etwas von seinem Vater brauchte, dann schickte er ihm eine E-Mail oder eine SMS. »Ich habe Eltern«, hatte er ihr einmal erklärt, »aber meine Erziehung hat Windows übernommen.«
    Endlich hörte sie Schritte. Tom stapfte zäh über den Schotterweg, so laut, dass er jedes Murmeltier im Tal aus dem Winterschlaf aufgeschreckt hätte.
    »Alice …«, rief er ihr zu und wedelte mit einem Blatt Papier herum.
    »Meine Füße sind eingefroren. Kannst du nicht einmal …«
    »Entschuldige«, sagte Tom und gab sich keine Mühe, das Sch in seinem Mund auszuformen, obwohl sein Vater ein Vermögen für einen Logopäden aus Sonthofen ausgab. Das verstümmelte »Sch« in Toms Mund war so launisch wie das Hinterecker Bergwetter.
    »Hey, Vorsicht.« Sie packte Toms Hand, der mit einem Fuß schon auf der schräg abfallenden Plattform war. Im Sommer waren dort nur Gras und Steine. Im Winter war es eine eisige Rutschbahn, die in einem zwanzig Meter senkrechten Nichts aufhörte. Der Weg über der Wand war für Wanderer gesperrt worden, nachdem eine schwergewichtige Frau ausgerutscht und über die Kante abgestürzt war. Zwanzig Meter freier Fall. Die Frau schlug inmitten einer Schafherde auf, brach sich beide Beine, ihr Genick und das Genick eines Schafes. Gesperrt, war der Ort an der verkohlten Madonna schnell zugewuchert. Brombeerbüsche und Gestrüpp hatten den Zugang verdeckt.
    Der Himmel riss auf. Die Sonne brach sich in Milliarden von Schneekristallen. Alice ging voraus auf dem Hühnersteig, der eigentlich kein Weg war wie die meisten Wege außerhalb der markierten Wanderwege in Hintereck. Ohne die Jungtannen wäre er zu steil und zu rutschig. Doch die Äste der geduckten Bäume dienten als Haltegriffe, die sie abwechselnd festhielten. Nach wenigen Minuten sah Alice den Friedhof aus den Wipfeln auftauchen und den weißen Grabstein ihrer Mutter.
    Der Schnee war rot, wo sie Mama gefunden hatten.

9.
    Das gusseiserne Friedhofstor quietschte. Die schmalen Wege zwischen den Gräbern waren nicht geräumt. Alice konnte den Weg zwischen den Grabsteinen nur erahnen. Wie Zahnstummel ragten die Steine aus dem Schnee.
    Sie suchte den Weg auf den unpraktisch geschlungenen Pfaden, bis sie vor dem Grab ihrer Mutter stand. Ein weißer Engel aus Marmor war in den Stein eingraviert.
    Heidi Pokel. 1970 – 2004. Geliebte Ehefrau und Mutter. Du fehlst uns.
    Alice blickte verstört auf die Spuren ihrer Schritte zurück. Neben Toms Spuren waren es die einzigen, die vom Tor kamen. Die beiden Rosen, die parallel

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