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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Buder
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schauen konnte. So also sah es aus,wenn man erwachsen war. Die Menschen waren mehr oder weniger gleich hoch oder gleich niedrig.
    »Nur dass man sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen muss«, warf Alice ein.
    Der Pfarrer blickte verwundert zu Alice, die ihn ein wenig überragte. »Ich sehe dich heute in der Abendmesse, dich und deinen Vater.«
    »Mal sehen … wenn nichts Besseres im Fernsehen kommt.«
    »So ein kluges Mädchen sollte nicht zu viel Fernsehen schauen.«
    »Wissen Sie, wer die Kirchenpforte verschmiert hat?«, fragte Alice und stieg dabei noch höher auf den Schneehaufen.
    Der Pfarrer zuckte verlegen. Seine Augen wanderten die leere Straße entlang, als läge die Antwort in der Ferne, am Ende des Tals.
    »Und die 11«, fügte Alice hinzu, »was hat das zu bedeuten?«
    »Etwas Böses ist nach Hintereck gekommen.« Der Pfarrer zitterte. Alice hatte die Veränderung in seiner Stimme bemerkt. »Ich hoffe, der Sünder wird umkehren und beichten.«
    Mit diesen Worten drehte sich der Pfarrer um und ging zurück in Richtung Kirche. Alice stieg von dem Schneehaufen herunter. Die Fußabdrücke des Pfarrers hoben sich deutlich ab. Sie hatten die Größe des Abdrucks neben dem Grab ihrer Mutter. Sie nahm ihre Finger und zählte. Doch die Sohle war intakt, kein Riss.
    Es war 14.34 Uhr, als Tom von der Friedhofsmauer auf den verschneiten Feldweg einbog. Sie überquerten den Fluss, dessen Ränder von bizarren Eisformationen umbaut war. Von der Brücke aus machte Tom noch eine Bemerkung, die Alice später im Gedächtnis haftenblieb.
    »Auf der anderen Seite der Brücke hört die Zivilisation auf.«
    Im Winter zeigte sich der Fichtenwald in der Tat feindlich. Umgekippte Baumstämme, undurchdringliches Unterholz und der unsichtbare felsige Untergrund verwandelten den Wald in eine Stolperfalle. Alice hatte Tom später nie gefragt, warum er diesen Weg eingeschlagen hatte. Um 14.45 Uhr bog er von dem Waldweg, der um das Dorf zum Hotel führte, in den Wald ab. Alice warf einen nervösen Blick auf ihre Uhr. Ihr Vater erwartete sie um 16 Uhr zu Hause. Im Sommer gab es eine Abkürzung. Im Winter war diese Abkürzung allerdings eine Schlitterpartie auf vereisten Felsen. Die Äste der Bäume hingen tief. Dicke Schneematten drückten sie nach unten. Das Licht drang nicht mehr von oben durch die dichten Kronen der Bäume, sondern schien über die weißen Schneefelder zu fließen. Starr standen die kahlen Stämme der Fichten da.
    Alice hatte Tom eingeholt. In dem Moment, als Tom sie entgeistert anschaute, so als wüsste er selbst nicht, was ihn geritten hatte, quer durch den Wald zu laufen, hätte sie noch umdrehen können. Sie hätten einfach nur ihren eigenen Spuren folgen müssen und wären in ein paar Minuten wieder an der Brücke gewesen.
    Sie drehten nicht um.
    Der Vorteil an Hintereck war, dass man jeden Punkt im Dorf innerhalb von Minuten erreichen konnte und, wenn man in eine Richtung lief, das Dorf innerhalb von zehn Minuten hinter einem lag. Es führte nur eine Straße nach Hintereck. Alle anderen Wege verloren sich im Wald oder endeten am Berghang, wo sie sich in schmale Wanderpfade verwandelten. Im Winter gab es keine Wege mehr, und die Straße war bei Schnee nur noch durch die lackierten Begrenzungsstäbe zu erkennen, als hätten Archäologen eine längst verschüttete Stadt abgesteckt.
    Toms Abkürzung erwies sich als fataler Irrtum. Alice fragte sich, warum sie ihm gefolgt war. Er konnte den Polizeicomputerhacken oder sich seitenweise Daten auswendig merken, doch er hatte keinerlei Orientierungssinn. Dies war umso verblüffender, weil er Landkarten in seinem Kopf abfotografieren konnte. Alle diese Karten im Kopf brachten ihm nichts, solange er nicht wusste, wo er sich befand.
    Es war zu spät. Tom setzte sich auf einen Baumstumpf und hob die Hände.
    »Meine Abkürzung zum Hotel ist perfekt. Ich bin sie zweimal auf der Wanderkarte durchgegangen. 1:25 000. Aber in diesem Schnee. Ich weiß nicht mehr, wo wir sind.«
    »Im Wald.«
    »Das weiß ich auch. Ich weiß sogar, wo wir falsch abgebogen sind.«
    »Ich kann mich nicht erinnern, dass wir abgebogen sind. Aber ich erinnere mich, dass wir jedes Mal im Wald steckenbleiben, wenn du vorangehst.«
    »Es ist dieser verdammte Schnee. Auf den Karten gibt es keinen Schnee. Es sieht alles so anders aus.«
    »Es ist Heiligabend, mein Vater hat gekocht, Opa zupft gelangweilt am Christbaum, Amalia fönt sich seit drei Stunden, und wenn alle so richtig genervt sind,

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