Die Eistoten: Thriller (German Edition)
Eltern Rattengift?«
»Soviel ich weiß, nicht. Der Hausmeister fängt die Ratten mit Lebendfallen und ersäuft sie dann.«
»Es ist also genauso gut möglich, dass Lupo Rattengift gefressen hat, das der Hausmeister vielleicht ausgelegt hat.«
Tom nickte. »Möglich, doch es ist schon ein seltsamer Zufall, dass auch der Hund vom Oberschrat tot ist. Sein Hund lag einfach tot vorm Häuschen. Der Oberschrat hat sich nicht viel dabei gedacht. Sein Hund war ja schon alt. Aber das ist noch nicht alles. Ich bin den ganzen Vormittag im Dorf gewesen, und du wirst es nicht glauben: Der Hund vom Oberschrat war nicht der einzige, der anscheinend in dieser Nacht gestorben ist. Ich habe bei neun Leuten geklingelt, von denen ich wusste, dass sie einen Hund haben. Bei acht Leuten ist der Hund in dieser Nacht oder am Vortag gestorben. Vergiftet. Bis auf den Hund vom Metzger, Josef Welk. Sein Hund war im Garten. Er hat so eine Klappe im Haus. Als er seinen Hund um Mitternacht rief, kam er nicht. Welk hat ihn im Garten gefunden. Erschlagen.«
»Du willst sagen, da hat jemand gestern Nacht die Hunde im Dorf umgebracht?«
»Ich weiß nicht, wie viele es waren. Das kommt erst später raus, wenn die Leute drüber reden. Aber es wäre ein unglaublicher Zufall …«
»Wenn sie reden … Du weißt ja, wie sie sind. Die verdächtigen lieber irgendjemanden, als dass sie miteinander reden.« Alice sah schweigend über die Gräberreihen. »Deshalb habe ich diese Nacht keinen Hund gehört. Es war totenstill im Dorf.«
»Glaubst du, es ist ein Serienmörder? Ein Serienkiller, der es auf Hunde abgesehen hat?«
»Eher jemand, den das Bellen im Dorf aufgeregt hat und der an Weihnachten seine Ruhe haben wollte.«
»Stille Nacht, heilige Nacht …« Tom sang so falsch, dass er gleich wieder aufhörte. »Nicht zu vergessen, die Scheißhaufen auf den Weiden und auf dem Trottoir. Sie sagen, wenn Hunde auf die Weide scheißen und die Kühe das fressen, dann bringt die Kuh Kälber zur Welt mit einem Hundegebiss.«
»So ein Schmarrn. Das glaubst du doch wohl selber nicht. Und in was verwandelst du dich, wenn du Hundescheiße frisst?«
»Na, in einen Werwolf – was sonst?«
»Du solltest weniger Filme schauen.«
»Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass jemand so gemein ist und die Hunde abmurkst, nur weil sie am Abend bellen. Das ist krank.«
»Oder jemand hatte etwas vor, und das Gebell hätte ihn verraten.«
»An Weihnachten?«, fragte Tom entrüstet. »Was sollte jemand an Weihnachten vorhaben? In diesem Dorf, am Arsch der Welt?«
Alice hatte keine Erklärung. Genauso wenig hatte sie eine Ahnung, wer die Rosen auf das Grab ihrer Mutter gelegt hatte. Jemand, der sich die Mühe gemacht hatte, von hinten über die Mauer zu klettern, um nicht gesehen zu werden. Mit etwas mehr Phantasie konnte man die Art, wie beide Rosen auf dem Grab ihrer Mutter hingelegt waren, auch als 11 lesen – wie die Schmierereien auf der Kirchenpforte.
10.
»Das ist die Strafe der Strebenden«, keuchte er und blickte dem Schneepflug hinterher.
Tom sah erst dem Fahrzeug nach und dann auf den Schneehaufen vor ihm. Grau und schmutzig türmte sich der Schnee am Straßenrand. Der Schneepflug fuhr bis zum Ende des Tals. Auf dem Rückweg schob er die Eisbrocken und Schneeklumpen wieder zurück, die einige Dorfbewohner vor ihren Garagenausfahrten auf die Straße warfen. Einer von ihnen war der Pfarrer, der Einzige, der nicht fluchte und dem Fahrer nicht die Pest auf den Hals wünschte. Seine Nase war rot gefroren, und Alice konnte selbst durch die Kälte den Alkohol in seinem Atem riechen.
»Hätten Sie gewartet, bis der Schneepflug vorbei ist, dann hätten Sie nicht die doppelte Arbeit«, sagte Tom.
»Menschliches Tun ist sinnlos«, antwortete der Pfarrer mit leerem Blick.
»Nur schlechtes Timing«, meinte Tom und zeigte in die Richtung, aus der der Schneepflug gekommen war. »Er fährt durchs Dorf, zwei Kilometer weiter dreht er um und kommt zurück. Morgen ist es dasselbe.«
»Kennst du den Sisyphos?«
»Klar«, antwortete Tom, »das ist doch der Typ, der einen Stein den Berg raufrollt. Kaum ist er oben angelangt, rollt der Stein wieder nach unten. Und so geht das endlos weiter.«
»Richtig, was wir auch anstreben, am Ende unseres Tuns gibt es keinen Sinn außer Gott. So kommt der Schneepflug morgen wieder, und ich werde dastehen mit meiner Schaufel wie Sisyphos.«
Alice stieg auf einen der Schneehaufen, von wo aus sie dem Pfarrer direkt in die Augen
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