Die Eistoten: Thriller (German Edition)
angezogen hatte, paranoide Mörder und Kinderschänder, selbstmordgefährdete Kinder und sie mittendrin. Alice überlegte, ob die Verrückten überhaupt wussten, dass sie verrückt waren. Wenn Cäsar nun wirklich Cäsar war? Eine Art Reinkarnation? Oder wie wollte man beweisen, dass ein Mann, der sich für Jesus hielt, nicht wirklich ein anderer auferstandener Jesus war? Und warum sperrte man nicht die Menschen ein, die fest daran glaubten, dass ein Mensch wieder von den Toten auferstanden war?
Und wenn du gar nicht merkst, dass du verrückt bist? Vielleicht saß sie gerade in diesem Augenblick in einer Gummizelle und nicht am Weihnachtstisch.
Es gab nur einen fast todsicheren Beweis, dass man nicht träumte oder verrückt war: den Zwicktest. Wenn man sich selbst zwickte und den Schmerz spürte, dann war man wach. Wenn man nichts spürte, dann träumte man. Wenn man sich zwickte und jemand anders schrie, dann war man verrückt. Sie nahm unauffällig ihr Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger und kniff zu. Die Welt war in Ordnung.
Der Mittagstisch glich dank ihrem Vater einem Gemälde. Nichts bewegte sich, selbst die Kerze brannte nicht nieder, und Alice hatte die erschreckende Vorstellung, ihr ganzes Leben lang elf Jahre alt zu sein. Sie hatte sich mit ihren Büchern auf ihrBett gelegt. Draußen hatte sich eine winterliche Landschaft ausgebreitet. Weiß und regungslos. Nur das Fichtenwäldchen auf der anderen Seite der Weide und die steilen Felsen dahinter klafften aus der weißen Leinwand. Es schneite wieder.
Theodor Robert Cowell, auch bekannt als Theodor Robert Bundy oder Ted Bundy. Einer der bekanntesten Serienmörder der USA. Alice vertiefte sich in das Leben Bundys und stellte sich vor, was man von Bundy sehen würde, wenn man nichts über seine Morde wüsste. Einen charmanten, redegewandten Mann, der eine gewisse Autorität ausstrahlte. Sie nahm sich ihren Notizblock und schrieb NIEMAND auf die erste Seite. Wenn man einen Serienmörder sucht, dann muss man nach einem NIEMAND suchen. Serienkiller sind deshalb so schwer zu fassen, weil es kein Motiv gibt. Das Problem war nicht Pornografie, meinte der Serienmörder Bundy in seinem letzten Interview vor seiner Hinrichtung, sondern Ted Bundy. In einer Anekdote erzählte Bundys Tante, dass ihr damals noch kleiner Neffe zwei Gesichter hatte. Er konnte sich von einem auf den anderen Moment in einen anderen Menschen verwandeln mit einem Gesichtsausdruck, der ihm völlig fremd war. Sie hatte Angst bekommen, als sie plötzlich allein auf einem verlassenen Bahnsteig neben einem Jungen stand, den sie nicht mehr kannte.
Alice notierte sich die Stelle. Wie kann ein und derselbe Mensch sich in einen anderen verwandeln? Was hatte sich innerhalb von Sekunden verändert? Alice notierte: Menschen sind nicht das, was sie vorgeben zu sein. Nur sie selbst wissen, dass ihr eigentliches Wesen ein anderes ist. Aber auch das andere Wesen musste einen Grund haben, warum es tat, was es tat .
In Bundys Interview fand Alice ein Motiv, das ihr zunächst gar nicht als Motiv erschien. Die Lust auf Grausamkeit oder andere zu quälen war wiederum nur die Beschreibung einer menschlichen Neigung. Alice glaubte zunächst nicht richtig gelesen zuhaben, doch der Autor verglich den Serienmörder Bundy mit einem Dieb, der nicht stahl, weil er etwas brauchte, sondern weil er es besitzen wollte. Das Größte war für mich das Besitzen von dem, was auch immer ich gestohlen hatte. Ein wenig weiter: Der ultimative Besitz war es, Leben zu nehmen … und dann der physische Besitz von dem, was übrig bleibt. Es wird ein Teil von dir selbst. Das, was du getötet hast, gehört dir, du und es, ihr werdet ein Teil …
Serienmörder hatten keinen Sinn für richtig oder falsch. Sie konnten sich jedoch perfekt an ihre Umwelt anpassen und so tun als ob. Kindermörder bewegten sich gerne in der Umgebung von Kindern. Sie arbeiteten für Kinderschutzeinrichtungen und setzten sich gegen Kindergewalt ein, so dass jeder glaubte, dass sie auf der richtigen Seite standen. In Wirklichkeit sahen sie sich jenseits von Richtig und Falsch. Schuld ist etwas für Schwache. Für Bundy war Schuld nur ein hohles Wort … das gar nichts löste.
Es mag verletzend klingen, doch ich bin in der beneidenswerten Position, in der Schuld mich nichts angeht.
Selbst wenn Bundy vor ihr stünde, würde sie ihn nicht erkennen.
Manchmal manipuliert er selbst mich, erklärte einer der Psychiater, die Bundy untersuchten.
Am Ende des
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