Die Eistoten: Thriller (German Edition)
Staatsakt beim Scheißen wie ihre Schwester Amalia. Tom meldete sich.
»Hast du meine Mail bekommen?«, fragte er.
»Ich konnte sie nicht aufmachen. Verschlüsselt. Zum Entziffern brauche ich meinen USB-Stick. Aber wie kommt es, dass du mir schon eine Nachricht geschickt hast?«
»Mit meinem iPhone. Auf dem Nachhauseweg habe ich ein wenig im Internet gesurft. Ich brauchte nicht einmal in den Polizeicomputer oder ins Archiv rein. Aber was ich gefunden habe, ist unglaublich …«
»Wo bist du jetzt?«
»Ich bin auf dem Parkplatz des Hotels.«
»Weißt du, wer die Tote ist?«
»Nein, das nicht … Aber im Allgäuer Blatt fand ich einen Artikel, der sich mit Toten zwischen Weihnachten und Neujahr beschäftigt. Die Eistoten heißt der Artikel. Von J. M.«
»In Hintereck?«
»Nicht nur. Auch in Sonthofen, Kempten, Hindelang. Der Journalist meint, es liegt an den Touristen, die überall herumklettern, und dass die Leute an den Feiertagen weniger achtgeben.«
»Autofahrer, die zu schnell fahren oder mit zu viel Glühwein in der Birne.«
»Keine Autofahrer. Die Toten, von denen J. M. spricht, sind alle erfroren. Eine Frau auf einer Parkbank, eine andere ist im Park eingeschlafen, ein junges Pärchen ist in einem Schuppen erfroren. Dabei war Alkohol im Spiel. Es gibt eine richtige Kette von Toten. Von der Toten auf der Parkbank ist auch ein Foto abgebildet. Und das ist seltsam. Sie sieht nicht tot aus. Genauso wenig wie … Du weißt schon. Auch die Tote auf der Parkbank hat ihre Arme verschränkt. Ich meine, so stirbt man doch nicht.«
»Es sei denn, jemand hat ihren Tod inszeniert.«
»Ich habe dir den Artikel geschickt und noch andere Fotos von Toten, die ich gefunden habe. Die Polizei hat in keinem Fall ermittelt. Es waren alles Unfälle.«
»Unfälle … das habe ich schon öfters gehört.«
»Ich muss los.«
»Versuch herauszufinden, wer das tote Mädchen war. Ich werde meinem Vater auf den Zahn fühlen.«
»Ich werde Alpträume haben, Alice. Wie steckst du das einfach so weg?«
Indem ich kotze. Reines Nervenfieber. Nur die Aufregung.
»Ich bin private Ermittlerin …«
»Frohe Weihnachten, Alice, pass auf dich auf.«
Sie legte genau in dem Augenblick auf, als Amalia den Flur entlangstolzierte.
»Hast du endlich austelefoniert«, sagte Amalia und griff nach dem Hörer des tragbaren Telefons.
»Damit ist die Leitung für die nächsten drei Stunden tot. Für unsinniges Liebesgequatsche.«
»Ach, von Liebe hast du doch keine Ahnung und wirst es auch nie haben. Schau dich doch bloß mal im Spiegel an. Wer so ein Gesicht hat, der kriegt nicht einmal aus Mitleid nen Typen. Liebe, pah! Ich fasse es nicht.«
»In der Liebe gibt man jemandem etwas, das man nicht hat und der andere nicht will. Lacan.«
Amalia runzelte die Stirn. »Dass du nichts hast, das wundert mich nicht, Klugscheißerin.«
»Und wenn du eines Tages zur Erkenntnis vordringen wirst, dass der Kopf nicht dafür da ist, dass Haare darauf wachsen, dann wirst du auch diesen Satz verstehen.«
»Ich kann dich auch ganz einfach packen und dir eine Backpfeife geben, Schwesterchen.«
»Hallo«, unterbrach ihr Vater, »könnt ihr endlich mal aufhören zu streiten? Es ist Weihnachten. Macht euch lieber mal in der Küche nützlich und helft Großvater.«
19.21 Uhr
Amalias Stuhl war noch verwaist, und dies würde er auch bleiben, bis der Akku des tragbaren Telefons leer war. Großvater hatte das Hähnchen aus dem Ofen geholt und mit Butter bestrichen. Alice hatte beschlossen, ab sofort Vegetarierin zu werden. Allein die Vorstellung, dass sich in diesem Augenblick nahezu alle Bewohner in Hintereck über den Kadaver eines Tieres hermachten, schnürte ihr die Kehle zu.
»Kannst du deine Schwester holen?«, sagte ihr Vater. »Wir essen in fünf Minuten. Opa schneidet schon das Hähnchen auf.«
»Sie weiß, dass heute Weihnachten ist und dass wir essen. Aber in ungefähr zehn Minuten ist sowieso der Akku leer.«
»Sei ein bisschen netter zu Amalia. Schließlich ist sie deine Schwester.«
»Ich bin mehr als nett zu ihr. Ich toleriere ihre Dummheit.«
»Bitte, Alice, tue mir einen Gefallen.«
»Ja, ja, ich gehe schon.«
Ihre Schwester kam erst nach zehn Minuten, als der Akku leer war. Der Weg war umsonst. Aber es war Weihnachten. Da zählten Gesten, auch wenn sie sinnlos waren. Großvater hatte einen Tannenzweig dekoriert als Ersatz für den fehlenden Christbaum.
»Austelefoniert?«, bemerkte ihr Vater, als Amalia sich an den Tisch
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