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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Buder
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waren scharf. Die Fußspur war tief eingetreten. Das war aber nicht das, was Alice wie ein Hammerschlag traf. Der Abdruck zeigte eine Querlinie, die von einem Riss in der Sohle stammen konnte. Sie legte ihre Finger an den Fußabdruck. Dieselbe Größe. Für Alice bestand kein Zweifel. Der Fußabdruck war derselbe wie der Abdruck am Grab ihrer Mutter.
    In diesem Augenblick schreckte sie hoch. Aus den niedrigen Tannen hinter ihnen kam ein lautes Knacken. Schnelle Schritte. Alice hatte an alles gedacht, nur nicht daran, dass der Mörder vielleicht noch in der Nähe war.

12.
    »Alice, ich kann mich nicht bewegen«, sagte Tom, »meine Beine gehorchen nicht.«
    Alle Muskeln im Körper waren angespannt, schlagartig. Keine Bewegung mehr möglich. Der einzige Muskel, der sich entspannte, war sein Schließmuskel. Tom war erstarrt, als hätte ihn eine Kamera inmitten einer Bewegung festgehalten. Alice spürte nur ihr Herz, als sie die Äste brechen hörte. Die Tote hatte ihre Augen auf sie gerichtet, und obwohl Alice wusste, dass Tote nichts mehr sehen, fühlte sie sich beobachtet.
    Ich habe keine Angst. Angst existiert nicht auf dieser Welt. Sie ist eine Illusion.
    Was würde Wittgenstein sagen? Sie versuchte sich auf Wittgensteins Tractatus zu konzentrieren, doch ihr Gehirn reagierte, als wäre es aus Kaugummi. Schnee fiel von den oberen Ästen und stürzte in Kaskaden auf die niedrigeren Äste. Im Augenblick, als ein dunkler Schatten aus dem Dickicht nach ihnen griff, hörte sie Tom schreien. Bruchteile von Sekunden später stürzte er durch den tiefen Schnee auf den zugefrorenen See. Alice war zu nah. Wittgenstein … verdammt. Der Hirsch überragte sie um zwei Köpfe. An seinem Geweih hing Gestrüpp. Er schüttelte sich den Schnee vom Kopf. Der Hirsch starrte sie aus seinen schwarzen Augen an, ohne Angst. Sie konnte ihren Blick nicht von dem Hirsch abwenden. Es war, als wartete jeder auf eine Bewegung, ein Zwinkern. Wie das Zwinkerspiel, das Amalia mit ihr immer spielte. Doch die Augen des Hirsches waren anders als die eines Menschen. Schwärzer und tiefer. Dahinter war die Unerbittlichkeit des Waldes, die Nächte allein in der Dunkelheit.
    Alice war wieder allein. Drei Schritte von der Toten entfernt. Die Fußspuren des Hirsches hatten tiefe Löcher hinterlassen. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie schleunigst Tom folgen sollte. Er winkte ihr von der Mitte des Sees. Ihre Neugier brannte jedoch zu stark. Wie konnte sie sonst die Wahrheit erfahren, wenn sie den Sachverhalt nicht prüfte? Wittgenstein würde ihr recht geben. Ohne Tatsachen gab es keinen Satz. Ohne Satz keine Wahrheit. Ohne Tatsachen also auch keine Wahrheit.
    Sie musste zurück, an der Leiche vorbei. Der Schuhabdruck war weniger tief, als sie gedacht hatte. Sie schaute auf ihren eigenen und verglich. Der Abdruck in der Nähe des toten Mädchens war nur einen Finger tiefer als ihr eigener. Der größere Schuh verhinderte, dass er tiefer einsank. Doch derjenige, der diese Spur hinterlassen hatte, war jedenfalls kein Schwergewicht. Sie suchte nach weiteren Abdrücken. In unmittelbarer Nähe war nichts mehr zu sehen. Sie lief die Umgebung in einem Radiusvon zwei Metern ab, und da fand sie einen zweiten Fußabdruck. Der Mörder war durch das Dickicht gekommen. Aus der Richtung des Waldhauses. Sie fand noch weitere Spuren. Sie vergaß Tom, der auf dem See stand und nichts mehr von ihr sah. Der Schnee wurde harsch. Es war nasser Schnee, der sofort gefroren war. Dennoch sanken die Schritte tief ein, obwohl Alices Schritte nur ein trocknes Knacken verursachten. Da fiel ihr auf, dass es keine Schleifspuren gab. Der Mörder musste die Tote auf der Schulter getragen haben, was erklärte, dass die Abdrücke am Tatort weniger tief waren als die Spuren im Wald.
    Die Spur hörte abrupt in den Spurrillen eines Holzwegs auf. Die Reifenspuren hatten die Fußspuren gelöscht. »Oder …«, sagte Alice laut vor sich hin, »der Mörder war selbst mit dem Traktor gekommen.«
    Sie nahm den Weg zur Waldhütte. Die Traktorspuren walzten sich durch das Eis. Braune Erde bröckelte unter dem Schnee hervor. Vor der Waldhütte nahm die Anzahl der Spuren zu. Reifenspuren, Fußspuren, Rehe, Fußabdrücke und die massive Spur der Waldfahrzeuge.
    Am See sah sie Tom. Er lief gemächlich übers Wasser. Jesus hätte es nicht besser gekonnt. Nur hatte Tom einen komischen Eiergang. Wenigstens gab es keine Diskussion mehr über den Weg. Den Weg vom See kannte Alice im Schlaf.
    »Verschwinden wir,

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