Die Eistoten: Thriller (German Edition)
diesem Haus lebte.
»Homer muss toll sein.«
»Homer ist der Vater aller Literatur, wenn es ihn wirklich gegeben hat. Komm doch einfach vorbei, wenn Stephan da ist. Am besten noch in den Ferien, dann kann er dich durch unsere bescheidene Büchersammlung führen. Nach den Ferien ist nur noch dein alberner Lehrer da. Stephan geht nächstes Jahr auf eine Privatschule. Schließlich will er danach studieren. Nur Lehrer will er nicht werden.« Lehmko lachte. »Wie wäre es mit übermorgen oder nächste Woche?«
»Ich werde meinen Vater fragen«, antwortete Alice und musste nur daran denken, wie sie Anfang nächster Woche mit einem Haufen Irrer Werbesendungen im Fernsehen anglotzte.
»Wie du magst. Komm einfach vorbei. Ich muss weiter. Geht es, oder soll ich dich mit nach Hintereck nehmen?«
»Mein Vater wartet auf mich, danke.«
Lehmko verabschiedete sich und überquerte die Straße.
Der Bus stand immer noch da. Sie hörte den Busfahrer fluchen. Für mindestens ein paar Jahrhunderte im Wartesaal zum Paradies. Zu viele Leute drängten in den Bus. Im Eingangsbereich quetschten sich zwei Frauen mit echten Pelzmänteln aneinander. Es sah aus, als würden zwei Grizzlys raufen. Die Presslufttüren konnten nicht schließen, weil entweder die Einkaufstüte der rechten oder der Regenschirm der linken Fraublockierte. Dies ging so lange, bis es dem Fahrer zu bunt wurde und er nach einigen Jahrhunderten Flüchen beide Damen auf die Straße schob. Die Türen schlossen sich. Das Innere des Busses war gestopft voll. In der hinteren Tür stand ein Mann. Er starrte zu ihr. Sie wusste erst nicht, wo sie ihn einordnen sollte. Er stand im Eingangsbereich des Busses und war geschminkt wie ein Clown. Um ihn war eine merkwürdige Leere. Das Treiben im Bus schien ihn nicht zu stören. Noch etwas anderes wirkte befremdlich an ihm. Er trug keine Winterkleidung. Keinen Daunenanorak oder pelzgefütterten Mantel, keine Thermojacke, sondern eine blau glänzende Pluderhose, ein weites Hemd und um den Hals eine Halskrause. Gesicht und Hals waren weiß gefärbt. Nur die Lippen, die Unterseite der Nase und die Ohren waren knallrot bemalt. Seine knallroten Lippen öffneten sich und formten ein stummes Wort. Ohne es zu hören, sprach sie das Wort nach, das der weiße Clown durch die Scheibe zu ihr sagte: ALICE. Niemand schien den weißen Clown zu bemerken. Es störte auch niemanden, dass der weiße Clown seine Arme in dem vollgestopften Bus ausstreckte und sich nach hinten bog, um lauthals zu lachen, ohne dass ein Wort aus seinem Mund zu hören war. Alice machte einen Schritt auf den weißen Clown zu, obwohl ihr etwas in ihrem tiefen Bewusstsein befahl, dies nicht zu tun. Sieh nicht hin …
Alice war gebannt von dem weißen Clown. Auf der Sitzbank vor ihm saß eine ältere Frau. Der Atem hatte die Scheiben des Busses beschlagen. Die Maske des Clowns war so perfekt, dass Alice dahinter gar kein Gesicht erkennen konnte. Selbst die Form des Gesichtes schien sich unter der Maske ständig zu verändern. Nur die Größe und die Gestalt des Clowns ließen Alice auf einen Mann schließen. Sie näherte sich dem Bus. Nein, sie täuschte sich nicht. Dort stand die Gestalt im Clownskostüm. Nur die Glasscheibe der Bustür trennte sie von dem weißen Gesicht.Der Clown drückte sich näher an die Scheibe, und dort, wo der Atem die Scheibe beschlagen müsste, war nichts, kein Atem. Erst als der Bus anfuhr und abbog, verstand Alice. Den weißen Clown konnte nur sie sehen … und sie war sich sicher: Es war dieselbe Gestalt, die sie vorhin auf dem Trottoir verfolgt hatte.
Zwei Minuten später hatte Alice die Würstchen- und Glühweinbuden hinter sich gelassen. Eine winklige namenlose Gasse fiel vor ihr ab. Eine Querstraße weiter musste die Praxis Schrebers sein. Sie beschleunigte ihre Schritte und stoppte reflexartig, als sie in einem gegenüberliegenden Hauseingang Amalia sah und – was sie noch mehr verwunderte – eng umschlungen. Das also war er, der arme Typ, der auf Amalia abfuhr. Er küsste sie lange, dabei strichen seine Hände über ihren Hintern.
Wenn du wüsstest, wie lange sie sich vor dem Spiegel hin und her dreht, um ihre Pobacken zu begutachten, ja, dass sie nichts anderes tat, als sich im Spiegel zu betrachten. Alice versteckte sich hinter ein paar Mülltonnen. Amalia trug ihre Mütze, kein Wunder bei den Haaren. Aus ihrem Winkel konnte sie nicht erkennen, wer der unglückliche Ritter war, dessen Hände Amalias Hinterteil begutachteten. Alice
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