Die Eistoten: Thriller (German Edition)
Grundinger, Sie müssen jetzt gehen. Hier holen Sie sich den Tod. Wenn der Alois wieder zu uns kommt, dann schicke ich ihn zu Ihnen. Versprochen.«
Sie half der Frau auf, die sich ohne Widerrede helfen ließ. Alice wunderte sich, wie leicht die alte Frau ohne Wintermantel war.
Vor Grundingers Haustür ließ Alice den Arm der Alten los.
»So, jetzt sind wir wieder daheim.«
»Du bist so ein liebes Mädel«, sagte Adelheid Grundinger, »dass der liebe Gott dir deine Liebenswürdigkeit vergelte.«
»Eine Frage noch. Können Sie Alois beschreiben?«
»Er sah jünger aus wie damals, als er ging. Nur sein Bein hat er leicht hinterhergezogen. Der Alois hat nicht gehumpelt. Der war immer gut zu Fuß. Nie ist er mit der Tram … Aber er war sicherlich verletzt im Krieg.«
Großvaters Bein – er humpelte beim Schneeschippen.
Nachdem die alte Frau die Tür verriegelt hatte, hörte Alice, wie die Holztreppe unter ihren Schritten knarrte. Wen hatte sie nur gesehen? Wer war in der Weihnachtsnacht und die Tage danach vor ihrem Fenster stehen geblieben? In Alice wuchs ein finsterer Verdacht. Wer sich auch hinter Alois Grundinger verbarg, er hatte im Schneesturm die Leiter unter Alices Fenster gestellt. Er hatte sie beobachtet, als sie allein im Zimmer war. Er hatte nur darauf gewartet, bis sie tief schlief. Im Sturm hätten sie die zerbrochenen Scheiben nicht aufgeweckt, und niemand hätte ihre Schreie gehört. Aus irgendeinem Grund hatte der falsche Alois Grundinger sein Vorhaben abgebrochen. Etwas musste ihn gestört haben. Sie hatte verdammtes Glück gehabt. Diesmal.
Wen hatte die alte Grundinger unter ihrem Fenster gesehen? Alice schlug den Weg in Richtung Kirche ein. Die Wege waren vereist, und an den meisten Stellen gab es nur einen Trampelpfaddurch die Schneemassen. Das Dorf lag da wie gelähmt. So musste es im Gehirn der alten Frau aussehen. Stillstand. Die Erinnerungen vergangener Jahre vermischten sich mit der Gegenwart. Ein Gesicht, das sie vielleicht zufällig gesehen hatte, verwandelte sich in das Gesicht ihres Alois. Alice konnte nicht glauben, dass Adelheid Grundinger ihr Leben lang auf ihren Alois gewartet hatte. Auf ihren Mann, der nie mehr kommen würde. Für sie gab es keinen Neuanfang, nachdem ihr geliebter Alois verschollen war. Sie betete und wartete. Jeden Tag blickte sie über das Feld, wo sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Alice nahm sich vor, von nun an die alte Frau öfters zu besuchen. Mit ihr reden, über die Jahre vor dem Krieg, den Krieg, über eine Zeit, wo noch nicht einmal ihre Eltern geboren waren.
Die Sonne war schon untergegangen. Die Helligkeit des Schnees schimmerte bläulich, so als wäre der Schnee selbst eine Lichtquelle.
Ihr Großvater ein Mörder? Allein der Gedanke war unerträglich. Es war dieselbe Schuhgröße, dasselbe Muster und vor allem derselbe Fehler in der Schuhsohle. Ein Zufall, der zwar unwahrscheinlich, aber dennoch ein Zufall sein konnte. Hatte die alte Grundinger ihren Großvater gesehen? Einen Mann, der sein Bein nachzog? Doch sie hatte einen jungen Mann gesehen. Wer auch immer unter ihrem Fenster gestanden hatte, war ein Mann gewesen, der das Alter von Alois Grundinger hatte, als er in den Krieg aufgebrochen war. Das sprach gegen ihren Großvater. Alice bemerkte, wie der Verdacht, dass ihr Großvater etwas mit den Eistoten zu tun haben könnte, ihr Denken vernebelte.
Ihr Handy klingelte. Tom. Wie sie gedacht hatte. Er war schon in der Kirche. Typisch, dachte sie, er muss ja sein Ding durchziehen. Tom hatte noch nicht verstanden, dass dies längst kein Spiel mehr war. Wenn sie nicht achtgaben, dann würden auch sie bald Opfer eines tragischen Unglücks sein. In Hintereckhieß es dann: Wie hatten sie nur so leichtsinnig sein können! Und wenn sie tot war, dann gab es niemanden mehr, der den Mörder stoppen konnte.
»Ich habe dir doch gesagt, dass du auf mich warten sollst.«
»Kein Problem, Alice. Ich habe alles im Griff. Die Installation ist perfekt.«
»Du warst schon in der Kirche?«
»Klar, alleine ist es unauffälliger.«
»Hat dich jemand gesehen?«
»Nur der Pfarrer. Der war ganz entzückt, als er mich auf der Bank knien sah. Das sah so andächtig aus. Derweil wartete ich nur, bis er hinterm Altarraum verschwunden war, um den billigen Messwein zu saufen.« Tom lächelte. »Wir wissen ja, dass der Bez säuft wie ein Loch. Wer in Hintereck lebt, ist schon gestraft, aber wer noch Pfarrer ist und dazu noch ein katholischer, der braucht sich nicht
Weitere Kostenlose Bücher