Die Eistoten: Thriller (German Edition)
mehr vor der Hölle zu fürchten. Der hört jeden Tag bei der Beichte die Verlogenheit der Dörfler. Ein Tourist kommt ja nicht zum Beichten. Niemand außer den Hinterecklern hat seit jeher in diesem Beichtstuhl sein schlechtes Gewissen gewaschen.«
»Ab wann funktioniert deine Installation?«
»Sobald ich diesen Knopf hier drücke.« Tom holte ein Handy aus seiner Tasche, das wie ein kleiner Computer aussah. »Ich habe das andere Handy so programmiert, dass es beim Anruf von diesem Handy einschaltet. Natürlich ohne Geräusch. Nicht einmal das Display leuchtet. Echt James-Bond-mäßig.«
»Hast du es ausprobiert?«
»Noch nicht. Dafür blieb keine Zeit. Ich hatte gerade einmal Zeit, mich in den Beichtstuhl zu schleichen und das superflache Handy unter der Kniebank zu befestigen. Ich sage dir, das war eine Meisterleistung.«
»Um wie viel Uhr ist Beichte?«
»In fünfzehn Minuten kommen normalerweise die Ersten.«
»Gut, einer von uns muss in der Kirche bleiben und sehen, wer im Beichtstuhl ist.«
»So viele kommen nie unter der Woche. Die alte Grundinger kam früher jeden Freitag und der Schrott-Gruber einmal im Monat. Es sind immer dieselben. Was die bloß zu beichten haben?«
»Wahrscheinlich immer dasselbe.«
»Was kann so schlimm sein, dass man es nicht für sich behalten kann?«
»Jemanden umgebracht zu haben …«
»Das wird aber niemand beichten.«
»Wenn er gläubig ist, dann wird er es beichten.«
»Einem Pfarrer, der Alkoholiker ist?« Tom schüttelte den Kopf. »Auch Pfarrer sind nur Menschen. Das Risiko geht kein Verbrecher ein, erst recht kein Mörder.«
»Ich glaube, das gehört zu seinem Spiel. Keiner weiß, dass er seit Jahren Menschen in Hintereck und Umgebung umbringt. Alle auf dieselbe Art und Weise. Serienmörder wie Ted Bundy sind Menschen mit einer übersteigerten Eigenliebe. Das geht so weit, dass sie töten, weil sie denken, sie verleiben sich das Opfer ein.«
»So wie die Indianer das Herz ihrer Feinde gegessen haben?«
»Da liegst du gar nicht so falsch. Es ist ein Ritual. Obwohl er seine Morde seit Jahren begeht, hat niemand etwas von seinem Werk mitbekommen. Doch ich bin sicher, dass jemand Bescheid weiß. Es gibt ein Publikum, von dem er weiß, dass es nicht redet.«
»Du glaubst, Pfarrer Bez weiß, wer seit Jahren in der Umgebung Eisleichen verteilt?«
»Das werden wir herausfinden.«
»Okay, ich übernehme die erste Schicht in der Kirche. Wir sollten uns abwechseln. Das fällt weniger auf.«
»Kennst du ein paar Gebete, die du murmeln kannst?«
Tom schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht einmal das Vaterunser. Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name …«
»… wie im Himmel so auf Erden. Gar nicht so schlecht.«
»Ich muss mir mal ein paar Gebete runterladen. So für den Hausgebrauch.«
»Jetzt werd nicht abergläubisch.«
»Ist auch egal. Ich brauch ja nur die Lippen zu bewegen und die Hände zu falten.«
»Du übernimmst die erste, und ich übernehme die zweite Stunde.«
»Wollen wir nicht tauschen?«
»Nein, ich habe noch einen wichtigen Besuch zu machen.«
»Wen denn?«
»Adelheid Grundinger. Ich glaube, sie hat den Mörder gesehen.«
»Was?« Tom rollte mit den Augen. »Und das sagst du erst jetzt. Wer war es?«
»Das ist komplizierter, als du denkst. Die Grundinger hält ihn für ihren verschollenen Ehemann, Alois Grundinger. Sie glaubt, er ist nach Jahren wieder zurückgekehrt, zu Fuß aus Russland.«
»Völlig gaga die Alte … Und wie kommst du drauf, dass sie den Killer gesehen hat?«
»Weil er sie am Fenster gesehen hat. Er ging nachts an ihrem Fenster vorbei zu unserem Haus. Die Alte ist ihm gefolgt. Sie hat beobachtet, wie er eine Leiter unter mein Fenster gestellt hat. Ich habe die Leiter gesehen und hatte keine Erklärung dafür. Es war die Nacht mit dem Schneesturm. Wer stellt da eineLeiter ans Fenster? Weder Großvater noch Vater. Ich muss wissen, was da passiert ist. Denn es gibt da noch eine Sache, mit den Schuhen … Aber das erzähle ich dir später.«
Sie trennten sich. Tom verschwand in der Kirche. Auf dem Weg zu Grundigers Haus drehte sich Alice zweimal um. Keiner war hinter ihr. Was wollte sie der alten Frau bloß erzählen? Vor allem, was konnte die alte Frau ihr sagen? Sie war ja fest davon überzeugt, dass ihr Alois unter ihrem Fenster gestanden hatte.
Alice stapfte weiter durch den Schnee. Die Abkürzung zur Mühle wurde von meterhohen Schneehaufen versperrt. Alice nahm eine flüchtige Bewegung zu
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