Die Eistoten: Thriller (German Edition)
die Österreicher und Preußen nach der Niederlage Napoleons den Absolutismus wiedereingeführt hatten, wurde das Narrentum zu einer versteckten demokratischen Bewegung. Doch was hatte die Narrenkappe mit der 11 auf der Kirchenpforte zu tun?
In der Bibel waren es zwölf Apostel. Mit Jesus waren es 13.Der 13. unter den Jüngern war Judas, der Verräter. Zählte man Jesus nicht mit, dann waren es nur 11. Im Islam stand die 11 für Allahu Akbar, Gott ist groß. Beim Fußball gab es seit 1870 genau 11 Spieler in jeder Mannschaft. Beim Strafstoß wurde aus 11 Metern auf das Tor geschossen. Im Alten Testament gab Gott Moses 11 Gebote. Als Moses jedoch vom Berg Sinai stieg und sein Volk um ein Goldenes Kalb tanzen sah, zerbrach er die steinernen Tafeln, und von den ursprünglich 11 Geboten blieben nur noch 10. Einige behaupten, dass der Vatikan in seinen Archiven die Wahrheit über das 11. Gebot kennen würde.
Was Tom an den Schmierereien nicht auf den ersten Blick gesehen hatte, war der Schatten unter der 11. Er trat einen Schritt zurück. Was aussah wie ein Schattenwurf, war eine andere 11, verblasst von Wind und Wetter. Es gab nur eine Erklärung: Unter der Schmiererei befand sich noch eine andere. Tom erinnerte sich daran, was Alice gesagt hatte. Als ihre Mutter starb, hatte es ebenfalls Schmierereien auf der Kirchenpforte gegeben. Wenn sich Alices Vermutungen bestätigten, dann gab es jedes Jahr Schmierereien, nur schaffte es der Pfarrer in den vergangenen Jahren, die Kritzeleien und Schmierereien rechtzeitig wegzuwischen, bevor sie großen Wirbel verursachten. Wenn hier jemand mehr wusste, als er sagte, dann war es der Pfarrer.
Versteck dich nur hinter deinem Beichtgeheimnis, dachte Tom, als er die leere Kirche betrat. In einer halben Stunde begann die Beichte. Seine Installation brauchte nicht mehr als fünf Minuten. Er hatte ein zweites Handy präpariert, das auf Stimmen reagierte und sich lautlos einschaltete, sobald jemand im Umkreis von einem Meter sprach. Er klebte es mit einem Doppelklebeband unter das Kniebrett im Beichtstuhl. Wenn das Handy seinen Betrieb aufnahm, wählte es die Nummer von Toms zweitem Handy. Dieses zeichnete alles auf. Er brauchte nur noch zu beobachten, wer zu welcher Uhrzeit im Beichtstuhlwar, und die Daten mit den Aufnahmen zu vergleichen. Schwieriger war es, einen Platz in der Kirche zu finden, von dem aus er sehen konnte, wer den Beichtstuhl betrat. Es wäre zu auffällig gewesen, wenn er sich über eine Stunde vor die Marienstatue im Seitenschiff kniete, außerdem würden das seine Knie gar nicht mitmachen.
Tom suchte sich einen Platz unter dem Altartisch in der Marienkapelle. Von dort konnte er zwar nicht den Beichtstuhl sehen, aber er sah, wer durch das finstere Seitenschiff zum Beichtstuhl ging. Er kam sich vor wie ein Geheimagent 007 im Auftrag ihrer Majestät. Er spürte etwas in seinen Adern brodeln, was Adrenalin sein konnte. Wer sich auch immer in Hintereck verbarg, wer immer sein scheußliches Geheimnis in Hintereck verbergen wollte, sie waren ihm auf der Spur.
Ein dumpfes Geräusch hallte durch die leere Kirche, als die Pforte geöffnet wurde. Dann folgten Schritte. Sie kamen auf ihn zu. Tom zog sich in sein Versteck zurück. Er kontrollierte, ob sein Handy auch wirklich stumm geschaltet war. Die Schritte kamen näher.
27.
»Entschuldige, Telefon«, sagte Stephan und ließ Alice in dem fensterlosen Raum zurück.
Das wird vielleicht Amalia sein, die zu Hause vor dem Spiegel mit ihren Haaren kämpft. Doch Stephans Stimme nach zu urteilen, war er nicht im Liebesmodus. Keine überzogene Freundlichkeit, keine weiche, verführerische Stimme. Es hörte sich vielmehr so an, als empfinge er Befehle. Alice konnte nur den stumpfen Wortfetzen »Ja … verstanden« hören. Dann war Stephan wieder für sie da, lächelnd wie ein Lebkuchenmann mit Mandelmund.
»Voilà, der Lesesaal«, erklärte Stephan, als sie einen schlichten Raum betraten, in dem nur zwei Tische mit Leselampen standen. Der Raum glich dem Lesesaal in der städtischen Bibliothek in Hindelang.
»Nichts, was die Konzentration ablenken könnte«, fügte Stephan hinzu.
»Dein Vater schreibt hier auch?«
»Nein, er hat einen eigenen Schreibraum, dort darf ich normalerweise niemanden reinlassen. Aber Amalia habe ich den Raum auch schon gezeigt.«
Wie hätte es auch anders sein können, setzte Alice in Gedanken hinzu.
Stephan duckte sich und öffnete gleichzeitig eine niedrige Tür, die durch das dicke Gemäuer wie
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