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Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Die Eistoten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Eistoten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Buder
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Tom erkannte an dem Flüstern, dass es sich um eine Frau handelte, aber mehr auch nicht.
    »Sprich, mein Kind, Gott hört dir zu.«
    »Vergib mir, Herrgott im Himmel, dass ich all die Jahre nicht immer standhaft war. Es gab Jahre, da zweifelte ich, dass mein Alois heimkehrt. Über sechzig Jahre hat er für den weiten Weg aus Russland gebraucht, Tag und Nacht ist er gelaufen, hat sich von Dorf zu Dorf durchgeschlagen, um endlich heimzukommen.«
    »Gottes Wege sind unergründlich, mein Kind.«
    »Vergib mir, dass ich mich versündige, wenn ich jetzt mit ihm gehe …«
    »Alois ist im Krieg verschollen. Seit Jahrzehnten kommst du zu mir in die Beichte. Nie hast du an der Rückkehr deines Alois gezweifelt. Gott hat ihn bei sich. Gedenke seiner und spende etwas für die Gemeinde. Ich lese eine Messe für ihn.«
    »Mein Alois ist zurück … den weiten Weg. Er war bei mir, gestern Nacht. Er stand vor meinem Bett. Er ist nicht gealtert, noch genau so jung wie damals, als er übers Feld wegging. Und jetzt verlasse ich mit ihm das Dorf. Vergib mir, Vater, wenn ich mich von keinem verabschiede. Denn das hat der Alois von mir verlangt. Ohne Abschied. Aber wir gehören ja zusammen.«
    »Folge deinem Herzen, aber versündige dich nicht. Ego te absolvo.«
    Tom erkannte die Adelheid Grundinger, als sie den Beichtstuhl verließ. Wie ein Gespenst schlich sie durch das dunkle Seitenschiff zum Ausgang. Die Einsamkeit der Jahrzehnte hatte ihr letztendlich doch den Verstand geraubt. Die Leute sagten, dass sie Hintereck nie verlassen hatte. Sie war nur ein Mal in Hindelang, wegen der Papiere für ihren verschollenen Alois. Siehatte sich in der alten Mühle verschanzt, gegen die Zeit, gegen die Welt da draußen.
    Dann war Stille in der Kirche. Der Pfarrer rührte sich nicht. Tom wartete. Er wollte als Letzter in den Beichtstuhl. Ein paar kleine Sünden runterplaudern und dabei das Lauschhandy abmontieren. Er hatte seinen Kopf schon unter dem Nebenaltar vorgestreckt, als sich der Schatten einer Säule löste oder vielmehr das, was Tom für einen Schatten gehalten hatte. Die Gestalt musste schon länger dort gestanden haben. Von dem Winkel aus konnte er nicht sehen, wer da den Beichtstuhl betrat. Er drückte die Kopfhörer nahe an sein Ohr und presste sich wieder in sein Versteck. Er wartete, bis das erste Wort den Aufnahmemechanismus auslöste.
    »Vater, vergib mir, ich habe gesündigt …«
    Der Pfarrer stöhnte kurz auf, als fehlte ihm die Luft zum Atmen. Laut genug, dass Tom es in seinem Versteck hörte.
    »Vergib mir, Vater«, flüsterte die Stimme. »Es ist vollbracht. Der Gangerl hat wieder jemanden geholt. Die Menschen haben den Tod vergessen, er existiert nicht mehr. Sie leben so, als wären sie unsterblich. Ich lehre sie, wieder hinzusehen.«
    »Du sollst nicht töten …«
    »Ich töte nicht, Vater. Das macht die Kälte. Ich fasse sie nicht an. Sie sterben, um die Lebenden zu mahnen. Schauen Sie die Menschen an, wenn jemand auf der Straße überfahren wird oder wie sie sich an Unfallstellen drängeln, nur um zu glotzen. Das ist keine Neugier. Da ist etwas, was sie doch gar nicht sehen wollen, und trotzdem schauen sie hin. Sie müssen hinschauen, weil der Tod sie an ihre Sterblichkeit erinnert. Der Gangerl holt sie alle.«
    »Warum, mein Sohn … Du versündigst dich an den Menschen, du versündigst dich an Gott.«
    »Ich bin Gottes Werkzeug.«
    »Jesus sagt, ihr sollt euch lieben.«
    »Gott ist grausam, Vater. Gott ist die Grausamkeit selbst. Ich bereite den Menschen nur auf Gott vor …«
    »Warum suchst du dann Vergebung in seinem Haus … jedes Mal, wenn du es getan hast?«
    »Gott kann sich nicht selbst vergeben, deshalb braucht er die Menschen, deshalb brauche ich Sie …«
    »Geh jetzt, mein Sohn …«
    »Mein Werk ist noch nicht vollbracht, noch nicht ganz.«
    »Halte ein, du bist auf dem falschen Weg.«
    »Sie sind mein Gewissen …«
    »Geh, bitte geh!« Die Stimme des Pfarrers brach. Er blieb schluchzend im Beichtstuhl zurück.
    Tom wagte nicht, seinen Kopf aus dem Versteck zu strecken. Wo waren die Schritte? Warum hörte er die Pforte nicht? Er spürte, wie die Gestalt vor dem Beichtstuhl stand und in die Stille des Kirchenschiffs horchte. Tom hielt die Luft an und zählte. Bei 45 vernahm er Schritte, dann schlug die Pforte zu. Er wartete noch, dann betrat er den Beichtstuhl. Er sah den Pfarrer zusammengesunken auf der anderen Seite. Tom räusperte sich und leierte einige Sünden herunter.
    »Vater, vergib mir, ich habe

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