Die Eistoten: Thriller (German Edition)
zur Kirche. »Mit dem lieben Gott sollte man es sich nicht verscherzen.«
»Ich habe mit dem Pfarrer geredet.«
»Das ist ähnlich. Der spricht ja von Berufs wegen mit Gott.«
»Außerdem habe ich ihn nur gefragt, was diese Schmierereien bedeuten.«
»Ach, die roten Striche meinst du?«
»Das ist eine 11 gewesen …«
»Ist doch egal, was es war.«
»Dir ist alles egal, was über den Stammtisch und den Musikverein hinausgeht.«
»Werde bloß nicht frech! Glaubst wohl, bloß weil dein Vater Polizist ist, kannst du eine große Gosch haben. Ich sage dir, dass es völlig wurscht ist, was da hingeschmiert wird.«
»Typisch …«
»Weil der Pfarrer es selbst hinschmiert.« Haas lachte schallend, dass das Echo von der Kirchenmauer zurückhallte. »Er schmiert es hin und putzt es weg. Ich habe ihn selbst schon gesehen. Unser Herr Pfarrer liest die Messe … Das macht er ganz gut, aber wir wissen ja, dass es in seinem Oberstüble nicht mehr ganz aufgeräumt aussieht.« Haas lehnte sich zu Alice vor. Sie roch seinen Bieratem. »Das ist ganz normal bei Männern, dass sie verrückt werden, wenn sie ihr Leben lang nicht dürfen … Du weißt schon. Aber dafür bist du noch zu klein.«
»Du meinst kopulieren.«
»Nix, über Jahrzehnte. Dem ist alles ins Gehirn gestiegen, undda spinnt er ab und zu. Noch einen schönen Tag.« Mit diesen Worten verschwand er wieder in Richtung »Schwarzer Bichl«.
Das erklärte zumindest, warum sich keiner in Hintereck über die Schmierereien aufregte. Wenn es niemand wüsste, dann wären es die Preißen oder andere Ausländer gewesen. Aber jeder wusste anscheinend Bescheid, was Alice ärgerte. Sie glaubte über alles Bescheid zu wissen, was sich im Dorf abspielte. Nur nicht, dass der Pfarrer die Kirchenpforte und die Friedhofsmauer selbst beschmierte. Wenn das stimmte, dann war es keine geheime Nachricht des Mörders. Die Frage war, was bezweckte Bez mit dieser Aktion? War es eine Nachricht … oder nur der Tick eines Alkoholikers, der nicht mehr wusste, was er im Delirium tat? Letztes und vorletztes Jahr hatte er die Kirchentür nicht vollgeschmiert. Alice erinnerte sich an das Foto, das sie in der Kiste gefunden hatte. Das letzte Mal war die Friedhofsmauer mit der roten 11 beschmiert worden, als Ina Zugl starb und ihre Mutter … Sie alle starben in Hintereck. Das konnte kein Zufall sein. So als wollte Bez mit roter Farbe eine stumme Nachricht in die Köpfe der Hinterecker hämmern. Doch was war so schlimm, dass er es nicht offen sagen konnte?
… ich kann nicht reden.
Das vermaledeite Beichtgeheimnis! Wenn der Pfarrer nicht reden durfte … wenn er aber etwas erfuhr, was so schrecklich war, dass er es nicht für sich behalten konnte. Wenn er sein Gewissen erleichtern musste, ohne jedoch dafür das Beichtgeheimnis zu verletzen und damit sein Seelenheil aufs Spiel zu setzen. Oder war es nur ein irrer Moment im Leben eines Alkoholikers?
Was hatte diese Elf zu bedeuten? Der Eismörder würde nicht lange warten. In der Nacht würde es Sturm geben. In dieser Nacht würde sich das Rätsel um die 11 auflösen. Sie musste ihn aufhalten, sonst würde er auch sie in eine Eistote verwandeln.
TEIL VIER
Letzte Dinge
33.
Der Lärm entpuppte sich als Stimmengewirr vor dem »Schwarzen Bichl«. Josef Tanneis, der seit dreißig Jahren hier Wirt war, versuchte vergeblich, die Streithähne auseinanderzubringen. Alice blieb in einigem Abstand stehen. Gruber und Wegener waren sich offenbar in die Haare geraten. Wegener hätte Grubers Sohn sein können, doch was wie ein ungleicher Kampf aussah, war bei näherer Sicht nicht mehr als ein harmloses Schubsen und Stoßen. Wegener war zwar jünger, dafür fehlte ihm die Kraft jahrzehntelanger körperlicher Arbeit. Gruber packte Wegeners Kragen und schüttelte ihn. Wegener schlug wie wild um sich und traf Gruber einige Male hart mit der flachen Hand im Gesicht. Als Tanneis schließlich Gruber gegen die Wand drückte und ihm drohte, ihn vom Stammtisch auszuschließen, beruhigte er sich. Aus dem Lokal war auch eine junge Frau gekommen, die Alice nur zu gut kannte. Es war die Frau aus der Redaktion des Allgäuer Blattes, die sich als Elsa vorgestellt hatte. Sie stand oben auf der Treppe vor dem Eingang zum »Bichl« und fotografierte die Streithähne. Nachdem der Wirt die Lage beruhigt hatte, ging sie quer über die Straße an Tanneis vorbei auf sie zu.
»Hallo, Lisa, schön, dich zu sehen.«
»Mein Name ist Alice. Sie wissen schon, das Mädchen im
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