Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
gut Bescheid wusste«, widersprach Keandir. »Ohne diese Fähigkeit hätte er es gar nicht geschafft, mit seinen Helfershelfern unbemerkt die Mauern Elbenhavens zu überwinden. Wahrscheinlich wäre er sogar schon an den Grenzen des Reichs aufgefallen und hätte sich ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen müssen.«
»Aber ich glaube kaum, dass der Axtherrscher tatsächlich Zugang zu jener bestimmten Sphäre hat, die wir Eldrana nennen«, hielt Siranodir dem entgegen.
Keandir lenkte sein Pferd zu seinem Heer zurück und führte es mit einem geistigen Befehl zum Herzog von Nordbergen.
»Isidorn«, sagte der Elbenkönig, »wisst Ihr vielleicht, ob Elbengruppen von Nordbergen oder Meerland aus an der Küste des östlichen Ozeans entlang weiter gen Süden gelangten?«
»Darüber ist mir nichts bekannt. Und wenn es so sein sollte, so wäre dies gegen sowohl meinen Befehl als auch den Befehl meines Sohnes Asagorn geschehen«, versicherte Isidorn.
»Das heißt aber nicht, dass es unmöglich wäre?«
»Nordbergen und vor allem Meerland sind zu dünn besiedelt, als dass wir uns eine weitere Ausdehnung der nördlichen Herzogtümer erlauben könnten. Dieser Punkt war immer wieder ein Streitthema bei den Zusammenkünften des lokalen Adels und den Bürgerversammlungen der elbischen Städte in diesen Gebieten. Doch allen ist klar, dass eine solche Expansion niemals die Unterstützung der Herzöge oder gar die Eure finden würde.«
»Ich stelle Euch diese Fragen nicht, um Euch eines Versäumnisses zu bezichtigen, Herzog Isidorn«, erklärte Keandir. »Ich möchte einfach nur wissen, ob es eine Wahrscheinlichkeit dafür gibt. Denn das hier war Elbenzauber! Um das zu erkennen, braucht man kein Magier oder Schamane zu sein.«
Isidorn nickte. »Es gab durchaus immer wieder Elben, die mit der Entscheidung nicht einverstanden waren, sowohl in meinem Herzogtum als auch in dem meines Sohnes. Ich gebe zu, dass einige von ihnen verschwanden. Niemand in Nordbergen oder Meerland sah sie mehr, und es besteht natürlich der Verdacht, dass sie in die Gebiete südlich des Nor gezogen sind. Ob ihnen das in Hinblick auf die feindselige Natur gut bekommen ist, sei dahingestellt.«
»Waren Magier oder Schamanen darunter?«
»Brass Zerobastir und eine kleine Zahl von ihm fanatisch ergebenen Schamanen-Novizen«, gestand Isidorn ein.
»Brass Zerobastir?«, echote Keandir. »Der Name ist mir ein Begriff. Er ist ein Seegeborener und zog kurz nach unserer Ankunft im Zwischenland von Elbenhaven in das gerade gegründete Westgard, wo er zum örtlichen Brass wurde.«
Isidorn nickte. »Auf meinen Erkundungsfahrten in den Norden habe ich häufig in Westgard angelegt, als es noch ein ganz kleiner Ort war. Da war es nicht schwer, den Überblick zu behalten, wer dort lebte – und Zerobastir war tatsächlich der örtliche Brass. Viele Jahre später äußerte er dann während eines meiner Zwischenaufenthalte den Wunsch, dass ich ihn an Bord meines Schiffes mit nach Norden nehme. Das war kurz nach der Gründung des Herzogtums Nordbergen. Er wirkte anschließend eine gewisse Zeit lang als Orts-Brass zunächst in Berghaven und später in Turandir, bevor er schließlich, noch vor der offiziellen Gründung des Herzogtums Meerland, nach Meerhaven übersiedelte.«
»Ein ziemlich unsteter Charakter, wie mir scheint«, sagte Keandir.
Erneut nickte Isidorn. »Nicht einmal zwei Jahrhunderthälften ein und denselben Ort als seine Heimat zu betrachten, ist durchaus ungewöhnlich für uns Elben geworden – sieht man mal von der ersten Zeit nach der Ankunft im Zwischenland ab, als es noch darum ging, das neue Reich zu erobern und Ethranor zu erkunden.«
Ethranor – diesen anderen Namen hatten die Elben dem Zwischenland dereinst gegeben, um diesen Kontinent in eine Reihe mit der Alten Heimat Athranor und Bathranor, den Gestaden der Erfüllten Hoffnung, zu setzen. Doch er war in den letzten Jahrhunderthälften fast ein bisschen aus der Mode gekommen und im alltäglichen Sprachgebrauch rar geworden.
Vielleicht deshalb, weil man nicht ständig daran erinnert werden wollte, dass sich die große Traumvision eben auch im neuen Reich der Elben nur bedingt hatte verwirklichen lassen.
Vielleicht aber auch deshalb, weil dieses Reich für die Generation der Elbianiter eine Selbstverständlichkeit war, anders als für die Seegeborenen, für die die Entscheidung zwischen zwei Visionen ihr Leben in der einen oder anderen Weise geprägt hatte – die Entscheidung zwischen
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