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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Nemirowski
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auch die Stadtburg Byrsa. Der junge Numidier staunte weniger über ihre dicken Mauern und die Steintreppe, die zum Tempel hinaufführte, als viel mehr über die Sage von der Königin Dido, die Karthago an dieser Stelle gegründet haben soll.
    „Schlau war sie, eure Dido!" rief er. „Sie kaufte den Einheimischen so viel Land ab, wie sich mit einer Ochsenhaut begrenzen läßt, und zerschnitt dann die Haut in dünne Riemen, so daß sie um diesen ganzen Hügel herumreichte."
    Bei den Schiffen blieb Masinissa lange stehen. Sie kamen ihm vor wie die gewaltigen geflügelten Drachen aus den Sagen und Liedern seines Volkes.
    „Komm weg von hier", sagte er zu Hannibal, als dieser ihn in den Tempel des Gottes Melkart führte und ihm die Statue zeigte, der Menschenopfer dargebracht wurden. „Ihr habt schlaue Königinnen und grausame Götter."
    Nach einer Woche schien sich Masinissa allmählich an das städtische Leben zu gewöhnen. Er ging durch die Straßen, ohne die Passanten anzustoßen. Wenn er das Gebrüll von Sklaven hörte, die ausgepeitscht wurden, stürzte er nicht in das betreffende Haus, um sie zu befreien. Er kaufte auf dem Markt auch nicht mehr alle Singvögel auf und befreite sie aus den Käfigen.
    Deshalb ließ Hannibal ihn eines Tages allein gehen. Von diesem Streifzug kehrte Masinissa erst spät am Abend mit strahlenden Augen zurück.
    „Gefällt dir unsere Stadt?" erkundigte sich Hannibal, froh über die gute Laune seines Schützlings.
    „Ich war noch nie so glücklich", antwortete der Numidier.
    Doch an einem der folgenden Tage stellte er sich ohne Filzhut und mit zerrissener Tunika bei Hannibal ein.
    „Was ist dir zugestoßen?" rief Hannibal verblüfft. „Wo warst du? Haben dich die Hunde gebissen?"
    „Ja!" schrie Masinissa wütend. „Karthagische Hunde!" 
    „Beruhige dich, und erzähle mir lieber der Reihe nach, wer dich beleidigt hat und weshalb!"
    „Am ersten Tage, als du mir erlaubtest, allein zu gehen", berichtete der junge Numidier hastig, „machte ich mich auf den Weg zum Hafen, weil ich noch einmal die Schiffe betrachten wollte, die aus dem Lande des Sonnenaufgangs stammen. Vor dem Tempel der Liebesgöttin Tanit überholten mich einige Sklaven, die eine geschlossene Sänfte auf den Schultern trugen. Ihr entstieg ein Mädchen, leichtfüßig wie ein Vogel, der sich auf der Erde niederläßt. Ich wußte nicht, wer sie war, aber ich hatte sie sofort in mein Herz geschlossen. Du, Hannibal, stehst mir gegenüber, aber auch jetzt sehe ich nur sie vor mir. Die Göttin Tanit hat mich wohl verzaubert. Ich lehnte mich an eine Säule, da kam das Mädchen aus dem Tempel zurück, stieg in die Sänfte und verschwand wie ein Traumbild. Den ganzen folgenden Tag wartete ich vor dem Tempel. Die Bettler zeigten schon mit Fingern auf mich, und die Tauben der Göttin trippelten zutraulich vor meinen Füßen umher. Ich aber wartete auf sie. Und als sie erschien, fiel ihr Blick auf mich. Was für strahlende Augen sie hat! Wir kamen ins Gespräch, sie schickte die Sklaven mit der Sänfte weg, und ich geleitete sie zu Fuß nach Hause. Ach, wenn du wüßtest, wie sehr ich wünschte, daß ihr Haus am anderen Ende der Stadt, nein, in einer anderen Stadt, einem anderen Land läge! Dann hätten wir so lange nebeneinanderher gehen können, bis die Sterne am Himmel aufleuchteten, bis die Sonne auf- und wieder unterging. Aber der Weg zu ihrem Hause war nur so kurz wie ein Schatten in der Mittagsstunde, und die Zeit bis zu einem Wiedersehen mit Sophonisbe ist nun so lang wie die Ewigkeit."
    „Sophonisbe?" wiederholte Hannibal nachdenklich. „Der Name kommt mir bekannt vor."
    „Am nächsten Tage ging ich zu ihr. Zwar hielten die Sklaven das Tor vor mir verschlossen, aber ich kletterte über die Mauer." Masinissa verstummte.
    „Erzähle weiter!" drängte Hannibal. „Was geschah dann?" 
    „Ich sprach mit Sophonisbes Vater und bat ihn, mir seine Tochter zur Frau zu geben. Da befahl er seinen Sklaven, mich hinauszuwerfen." 
    Hannibal biß die Zähne zusammen, daß sie schmerzten. Er fühlte sich schuldig an dem dummen Zwischenfall. Es war falsch gewesen, den Numidier allein durch die Stadt laufen zu lassen! Was für Erinnerungen an Karthago würde Masinissa zurückbehalten, wenn man ihn hier wie einen Bettler hinauswarf.
    „Wenn du mein Freund bist", sprach Masinissa, „dann erfülle mir eine Bitte: Nachts hole ich mein Pferd, du wartest an der Mauer von Sophonisbes Haus, ich trage sie auf meinen Armen heraus und

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