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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Nemirowski
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Bruders begraben hatte, führte er sein Heer zur Südspitze Italiens. 
     
     
Ein zweites Wiedersehen
     
    Auf einem Felsen, dicht am Meer, leuchtete der weiße Marmortempel der Göttin Hera. Schlanke Zypressen wiesen den Schiffern den Weg zum Heiligtum. Hier herrschte auch im Hochsommer Kühle, denn die heiße Julisonne war nicht imstande, die gewaltigen Steinquadern zu durchdringen, die den Tempel in eine Festung verwandelt hatten. Am Fuße des Felsens weideten Tarentiner Schafe, deren Wolle so kostbar war, daß man ihnen die Felle gewöhnlicher Schafe über den Rücken deckte. Sie hatten früher den Priestern gehört und waren jetzt Eigentum der Armee geworden, wie alles ringsumher.

    Zwischen zwei Olivenhainen lag das karthagische Lager. Bei Sturm spritzten die Wogen bis zu den Zelten hin und füllten sie und den Tempel mit ihrem Brausen. Von seinen Stufen hatte man einen weiten Blick auf das Meer.
    Aber all das vermochte den Feldherrn nicht von seinen qualvollen Grübeleien abzulenken. Er, für den nur der Kampf Leben bedeutete, war zur Untätigkeit verurteilt. Er konnte nur noch auf Nachrichten warten von dort, wohin sich der Krieg verlagert hatte. Freund und Feind schienen ihn vergessen zu haben. Die Proviantschiffe, die man ihm aus Karthago geschickt hatte, waren an der sardinischen Küste im Sturm untergegangen. Italien, das ihn geduldet hatte, solange er siegte, behandelte ihn jetzt mit wortloser Feindseligkeit. Bei seinem Herannahen schlossen die Städte ihre Tore, verödeten die Dörfer. Ihre Einwohner verbrannten die Saaten, nahmen ihr Vieh und flohen. 
    Und sein Heer? Es bestand zur Hälfte aus Italikern, denen er versprochen hatte, sie gegen Rom zu führen. Würden sie ihm folgen, wenn er sie statt dessen nach Afrika brächte? Nein, sie würden Italien nicht verlassen. Sie wollten nur hier kämpfen, weil sie nur hier ihre Befreiung vom römischen Joch erlangen konnten.
    Immer häufiger beschäftigte sich Hannibal in Gedanken mit Publius Scipio. Es schien ihm, daß sich in den Worten und Taten dieses Römers die Lösung für die Rätsel des Krieges verbarg. Allein die Tatsache, daß der junge Scipio während Hannibals Aufenthalt in Italien vom Knaben zum Manne herangewachsen und Konsul geworden war, bedrückte Hannibal tief. In blutigen Schlachten vernichtete ich eine ganze Generation von römischen Kriegern, aber ihre Söhne sind nachgerückt, und schon wachsen ihre Enkel heran! Und wo bleibt unser Nachwuchs? Ich und meine Veteranen, wir sind wie Dornen, die der afrikanische Wüstenwind auf die italische Erde herüberwehte. Wir haben keine Wurzeln, keine Zukunft. Iberien, das Land, das mein Vater und mein Vetter Hasdrubal eroberten, ging uns nahezu vollständig verloren. Ich hatte erwartet, daß Publius Scipio nach seinen iberischen Siegen in Italien landen würde, um mir hier die Entscheidungsschlacht zu liefern. Aber er hat sich nach Sizilien begeben. Das ist eine Demütigung für mich als Mensch und Feldherr. Bin ich der Aufmerksamkeit eines Scipio nicht mehr würdig?
    Hannibal schoß das Blut ins Gesicht. Er rief sich seine Siege am Trasimenischen See, an der Trebia und bei Cannae ins Gedächtnis, doch auch sie trösteten ihn über die schmachvolle Kränkung nicht hinweg. Ja, Scipio hat recht! Ich bin nicht mehr gefährlich, deshalb kehrt er mir den Rücken. 
    Hinter dem Kap tauchte ein Schiff mit steilem Segel und zwei Reihen von Rudern auf. Es war, wie Hannibal erkannte, eines jener Wachschiffe, die zum Schutz der afrikanischen und iberischen Küste eingesetzt, aber wegen ihrer Schnelligkeit auch für längere Fahrten benutzt wurden. Welche Nachricht würde es ihm bringen? 
    Als das Schiff am Ufer angelangt war, ankerte es und ließ ein Boot zu Wasser. Es wurde von zwei Männern gerudert. Ein dritter breitschultriger Krieger stand aufrecht am Bug.
    Hannibal hastete zum Ufer hinunter. Der Mann am Bug war Magon. Besorgniserregende Ereignisse mußten ihn veranlaßt haben, Karthago zu verlassen, wo er Elefanten und Truppen besorgen sollte. Wortlos schloß er Hannibal in die Arme.
    „Ein Unglück ist geschehen!" sagte er dann leise. „Gula ist tot, und Masinissa ist von uns abgefallen. Er hat Syphax den Krieg erklärt und den karthagischen Ratsherrn ermordet, der als Friedensunterhändler zu ihm kam. In seinem Lager wurden Abgesandte des Publius Scipio gesehen."
    Hannibal senkte den Kopf. Schon lange wußte er, daß sich Karthago durch sein Schwanken zwischen Syphax und Gula in eine große

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