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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Nemirowski
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und sah nachts den Widerschein von ihren zahlreichen Lagerfeuern am Himmel stehen.
    Wovon ernähren sich die zehntausend Legionäre, die sich im Lager befinden müssen? grübelte Hannibal. Was führen sie im Schilde? 
    Er ließ Dukarion rufen. Dukarion war als Gallier und ehemaliger römischer Sklave besonders gut geeignet, um sich zum römischen Lager zu schleichen und herauszufinden, was dort vor sich ging. 
    In der folgenden Nacht kroch Dukarion unbemerkt dicht ans römische Lager heran. Mit ausgestreckter Hand hätte er den grasbedeckten Lagerwall berühren können. Alles war still. So qualvoll langsam verstrich ihm die Zeit, als würde sie von den Göttern in ihrem Lauf gehemmt, um seine Geduld auf die Probe zu stellen. Schließlich hörte er Schritte und Stimmen über sich. Die Posten! dachte er und preßte sich fester an die Erde. Trockene Gräser kitzelten ihm das Gesicht. Sie dufteten nach Wermut. Er hielt den Atem an, um die Unterhaltung der Römer zu verstehen. Vielleicht konnte er daraus entnehmen, wann Postenwechsel war.
    „Zeit zur Weinlese!" sagte der erste Posten. „Siehst du den Stern dort oben? Den nennen wir den Weinbecher. Wenn er am Himmel steht, ist es Zeit, Körbe und Fässer bereitzustellen. In unserer Gegend pflanzt man die Reben neben Bäumen, damit sich die Schößlinge daran hochranken können!"
    „Bei uns wächst kein Wein", antwortete eine hellere Stimme, die anscheinend einem jungen Mann gehörte. „Dazu ist der Boden zu fett. Wir züchten Kohl. Unsere Kohlköpfe sind größer als Männerschädel. Zu dieser Jahreszeit bringen wir sie immer nach Rom auf den Markt!" 
    Das war kein Wortwechsel zwischen grimmigen römischen Legionären, sondern die friedliche Unterhaltung zweier Männer, die man von ihrer Familie und ihrer gewohnten Arbeit in Weinbergen und Gemüsefeldern weggeholt hatte. Zum erstenmal seit vielen Jahren spürte Dukarion die ganze Sinnlosigkeit seines Söldnerdaseins. War er denn als Krieger geboren? Ohne den Überfall der Römer würde er noch immer am Ufer der Adda die Pferde hüten. Wie hatten ihre Rücken und ihre Flanken im Mondlicht geglänzt! Wie vertraut waren die Geräusche jener Nächte gewesen - das leise Wellengeplätscher, das knisternde Lagerfeuer! Damals wäre ihm nie der Gedanke gekommen, daß er eines Nachts auf den Befehl eines fremden Mannes über einen verunkrauteten Acker kriechen würde, um Bauern und Winzer gefangenzunehmen und zu töten oder um von ihnen getötet zu werden!
    Dennoch habe ich keine andere Möglichkeit! grübelte Dukarion. Ich bin an Hannibal geschmiedet wie ein Rudersklave an die Ruderbank. Und selbst wenn ich die Ketten zerreiße, bin ich noch immer vom feindlichen Meer, von mörderischen Wasserfluten umgeben. Ich kann nicht nach Gallien fliehen, denn alle nach Norden führenden Straßen werden von den Römern bewacht. Und wenn ich mich ihnen ergeben würde, hätte ich nur die Sklaverei zu erwarten, und das wäre schlimmer als der Tod.
    Plötzlich hörte er fernen Marschtritt und Stimmenlärm. Offenbar rückte ein römischer Truppenteil durch das jenseitige Tor ins Lager ein. 
    Die Römer bereiten sich auf eine Schlacht vor! Das ist vermutlich eine frische Einheit! sagte sich Dukarion.
    „Endlich sind sie wieder da!" rief über ihm der ältere Posten.
    „Schau, sie haben Elefanten mitgebracht!" ergänzte der jüngere. „Wo mag der Konsul die erobert haben?"
    Langsam, dicht an den Boden geduckt, kroch Dukarion davon. Erst als er ein kleines Waldstück erreicht hatte, richtete er sich auf und rannte zum karthagischen Lager zurück, so schnell ihn seine Füße tragen wollten.
    Auf diese Weise erfuhr Hannibal, daß die Konsuln vor einiger Zeit mit dem größten Teil ihrer Heere das Lager verlassen hatten und nun wieder zurückgekehrt waren. Doch wo hatten sie sich inzwischen aufgehalten? Und woher stammten die Elefanten? 
    Hannibal ahnte Schlimmes.
    Am nächsten Morgen brachte man ihm einen Ledersack, den die Posten am Lagerwall gefunden hatten. 
    „Aufmachen!" befahl Hannibal kurz. 
    Der Posten gehorchte. Ein blutiger Kopf fiel ins Gras. 
    „Wollen mich die Römer verhöhnen?" fragte Hannibal verächtlich. Doch dann sah er genauer hin und sank auf die Knie. 
    „Bruder", flüsterte er, „so sehen wir uns wieder."
    Mit unwirklicher Deutlichkeit stieg in seiner Erinnerung das Kinderspiel auf, und seine eigene triumphierende Stimme klang ihm in den Ohren: Die Römer haben gesiegt. 
    Nachdem Hannibal den Kopf des

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