Die Elementare von Calderon
Hügel
hinunter. Faede hielt Schritt. Der Sklave wirkte unermüdlich und beschwerte sich nicht. Sie ließen Amara auf der Hügelkuppe zurück, und bald wurde sie von der Dunkelheit verschluckt. Tavi orientierte sich an zwei großen Felsen, wo er mit Frederic einmal gespielt hatte, und ehe eine Viertelstunde vergangen war, hatten sie den Waldrand erreicht und schlichen in die Finsternis, unter den Schutz der Kiefern und Espen und den langen Fingern der vertrockneten Eichen.
Tavi keuchte, und von hier an lief er nicht mehr, sondern ging. Er presste eine Hand in die Seite, wo er einen schmerzhaften Krampf hatte. »So viel bin ich noch nie gelaufen«, sagte er zu Faede. »Ich habe Seitenstechen.«
»Legion. Rennen. Marschieren. Drill«, sagte Faede. Der Sklave schaute sich um, die Schatten verbargen die Brandnarben des Feiglings in seinem Gesicht. Seine Augen glitzerten. »Tavi in der Legion, viel laufen.«
Tavi hatte noch nie so viele Worte am Stück aus dem Mund des Sklaven gehört. »Faede? Du warst in der Legion?«
Faedes Miene veränderte sich kaum, trotzdem meinte Tavi, ihm einen tiefen Schmerz vom Gesicht ablesen zu können. »Faede. Feigling. Geflohen.«
»Wovor bist du geflohen?«
Faede wandte sich von Tavi ab und drang in östlicher Richtung in den Wald vor. Tavi blickte ihm einen Moment hinterher und folgte ihm schließlich. Eine Zeit lang kamen sie gut voran. Tavi versuchte, Faede mit einigen anderen Fragen zu einem Gespräch zu bringen, der große Mann antwortete jedoch nicht. Der Wind nahm an Heftigkeit zu, die Bäume ächzten und wisperten und stöhnten. Überall sah Tavi Bewegungen, in den Ästen und auf den Stämmen der Bäume - die Elementare des Waldes, die wie Tiere wegen des bevorstehenden Sturms unruhig wurden, hin und her huschten und die beiden Wanderer still beobachteten. Tavi fürchtete sich nicht vor ihnen - er war an sie gewöhnt wie an das Vieh
auf dem Wehrhof. Dennoch entfernte sich seine Hand nie weit von dem Messer an seinem Gürtel, nur für alle Fälle.
Bald hörten sie lautes Rauschen durch die Bäume, und Tavi eilte voran und übernahm die Führung. Sie erreichten das Ufer des Flusses, eines kleinen, rasch strömenden Wasserlaufes, der sich von Garados im Osten bis zu den Bergen auf der Südseite durch das Calderon-Tal wand.
»Gut«, sagte Tavi. »Wir müssen die Furt finden, die Onkel Bernard markiert hat. Von dort aus kenne ich den Weg durch den Wald bis zur anderen Seite. Woanders werden uns die Elementare ihre Streiche spielen, und dann verirren wir uns. Onkel Bernard hat mir erzählt, in seiner Jugend hätten sich einige Leute im Wald verirrt und sind nie wieder herausgekommen. Er fand sie kaum einen Bogenschuss vom Dammweg entfernt.«
Faede nickte und sah Tavi an.
»Ich bringe uns durch den Wald, aber wir müssen den Pfad nehmen, den Onkel Bernard gekennzeichnet hat.« Er biss sich auf die Unterlippe und schaute den Fluss hinauf und hinunter. »Vor allem jetzt im Sturm. Hier.« Er wühlte in seinem Bündel und gab Faede das zweite Säckchen mit Salz. »Halt es gut fest, falls wir es brauchen. Verlier es nicht.«
»Nicht verlieren«, wiederholte Faede und nickte ernst.
Tavi ging flussaufwärts los. »Hier entlang, glaube ich.«
Sie gingen durch die Nacht am Fluss entlang. Tavi konnte kaum etwas erkennen, und Faede stolperte ihm murmelnd hinterher.
»Hier«, sagte Tavi endlich. »Hier ist die Furt. Siehst du den weißen Stein? Onkel Bernard hat ihn von Brutus herbringen lassen, damit man die Stelle leichter findet.« Tavi rutschte die kalte Erde zum Wasser hinunter.
Faede jaulte auf.
»Faede?« Tavi blickte sich um und konnte gerade noch sehen, wie sich in der Dunkelheit etwas auf ihn zubewegte. Er wurde hart ins Gesicht getroffen und spürte, dass seine Beine unter ihm nachgaben.
Dann fiel er nach hinten, in den kalten Strom des flachen Flusses, und blinzelte. Im Mund schmeckte er Blut. Bittan von Kordhof beugte sich vor, zog ihn am Hemd hoch und schlug ihn erneut, genauso schmerzhaft wie beim ersten Mal. Tavi schrie und wollte sich mit den Armen schützen, doch die Fäuste des größeren Jungen fanden mit jedem Schlag ihr Ziel, wieder und wieder.
»Genug«, knurrte Kord. »Komm aus dem verfluchten Wasser, Bittan. Wenn du nicht wieder ertrinken willst.«
Benommen schaute Tavi auf. Kord ragte am Ufer auf, sein glattes Haar schwang herum, als er sich dem Fluss zuwandte. Auf dem Boden vor ihm lag eine reglose Gestalt: Faede.
Bittan zerrte Tavi aus dem Wasser und
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