Die Elementare von Calderon
dem Dach befand. Er erstarrte und lauschte.
Eine blecherne Stimme sagte: »Gestern und heute Nacht ging es ja wirklich Schlag auf Schlag. Obwohl es vermutlich nicht mit dem Leben eines Edelsteinhändlers zu vergleichen ist, Herr.«
Tavi blinzelte. Das war Berittes Stimme, aber sie klang, als käme sie durch ein langes Rohr aus der Ferne. Einen Moment später erinnerte er sich, dass es sich genauso anhörte, wenn seine Tante durch Bächlein zu ihm sprach.
Die Stimme einer Frau, die Tavi nicht kannte und die nicht weit entfernt war, murmelte träge: »Siehst du, Liebster. Jetzt hat er etwas zu trinken, und wir können lauschen. Manchmal lohnt es doch, wenn man rasch handelt.«
Eine fremde Männerstimme antwortete knurrend: »Diese Hetzerei. Wenn wir sie umgebracht und den Auftrag ausgeführt haben, werde ich dich wochenlang mit Eisen in einen Raum ketten.«
Die Frau schnurrte: »Du bist so romantisch, mein Liebster.«
»Still. Ich möchte hören, was er sagt.«
Sie verstummten, und Tavi hörte wieder blecherne Stimmen. Er schluckte und bewegte sich sehr leise vorwärts, unter der Stelle vorbei, wo die beiden Fremden auf dem Heuboden lagen, bis zu den Ständen der Pferde, in denen ihre Tiere untergebracht waren.
Die Pferde trugen noch ihr Zaumzeug, und die Sättel standen auf dem Boden neben ihnen, bereit, um rasch aufgelegt zu werden. Die Decken trockneten auf dem Boden.
Tavi schlich sich in den ersten Stand, hielt dem Pferd die Hand hin, damit es ihn beschnuppern konnte. Danach ging er zum Sattel und kniete sich daneben. Er zog das Messer aus dem Gürtel und begann, so leise er konnte, das Leder des Sattelgurts durchzuschneiden. Seine Klinge war scharf, und daher hatte er den Riemen kurze Zeit später durchgetrennt.
Das Gleiche wiederholte Tavi noch zweimal und machte so auch die beiden anderen Sättel unbrauchbar. Dann ging er zurück, nahm die Zügel des ersten Pferdes, bewegte sich dabei so geduckt wie möglich und führte schließlich die Tiere aus ihren Ständen zur Stalltür.
Als er an der Stelle ankam, über der die beiden Fremden im Heu lagen, schnürte sich ihm die Kehle zu. Da waren ihm vollkommen unbekannte Menschen gekommen, um ihn zu töten, und zwar aus Gründen, die er nicht einmal richtig verstand. Das war zu seltsam, fast unwirklich - aber die Angst, die war echt.
Er hatte die Pferde gerade unter den Fremden hindurchgeführt, als eines der Tiere schnaubte und den Kopf zurückwarf. Tavi erstarrte, und vor lauter Panik wäre er beinahe geflohen.
»Angst«, zischte die Frau plötzlich. »Unter uns, die Pferde .«
Tavi zog an den Zügeln und pfiff gellend. Die Pferde schnaubten und trotteten unsicher los.
Jetzt ließ Tavi die Zügel los, rannte zur Stalltür und schob sie auf. Während die Pferde hindurchliefen, stieß Tavi einen Schrei aus, der in einem hohen Kreischen endete, und die Pferde begannen zu rennen.
Hinter ihm brüllte jemand, und als Tavi sich umschaute, sah er, wie ein Mann, der noch größer war als sein Onkel, vom Heuboden herunterkam und ein gezogenes Schwert in der Faust hielt. Der Kerl blickte sich um, und Tavi rannte in die Dunkelheit davon.
Draußen packte ihn jemand am Arm, und vor Schreck hätte er beinahe geschrien. Amara legte ihm die kalten Finger auf die Lippen und zog ihn mit sich. Sie liefen nach Nordosten, in Richtung Dammweg. Tavi schaute sich um. Faede schlurfte unter dem Gewicht seiner Last hinterher, doch sonst schien ihnen niemand zu folgen.
»Gut«, flüsterte Amara. Ihre Zähne blitzten in der Dunkelheit auf. »Gut gemacht, Tavi.«
Tavi grinste sie und auch Faede an.
Und in dem Augenblick hörten sie die Schreie, von hinter den Mauern aus dem eigentlichen Wehrhof, klar und verzweifelt.
»Tavi«, rief Amara. »Lauf!«
19
Tavi lief.
Seine Muskeln brannten, seine Haut war mit unendlich vielen Kratzern überzogen, die schmerzten, und trotzdem konnte er laufen. Eine Weile lang rannte Amara schweigend neben ihm und humpelte kaum - doch nach einer Viertelmeile wurden ihre Bewegungen ungleichmäßiger, und sie wimmerte leise. Tavi wartete auf sie.
»Nein«, keuchte sie. »Du musst weiter. Auch wenn ich es nicht bis zum Grafen schaffe, du musst zu ihm.«
»Aber dein Bein -«
»Ich bin nicht wichtig, Tavi«, erwiderte Amara. »Lauf.«
»Wir müssen nach Osten«, meinte Tavi und blieb an ihrer Seite. »Wir müssen eine Stelle finden, wo wir den Fluss überqueren können, denn auf der anderen Seite gibt es einen dichten Wald. Im Dunkeln hängen wir
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