Die Elementare von Calderon
Erwachsener und darf mich entscheiden, wo ich lebe.«
»Und du möchtest bei Hashat leben«, stellte Tavi fest.
Der andere Junge blinzelte ihn an. »Ja.«
Tavi musterte ihn. »Bist du, äh... willst du sie?«
Kitai zog die Augenbrauen hoch. »Nein. Aber ich will zu ihrem Clan gehören. In Freiheit bei ihrem Clan leben. Und nicht mit Doroga und seinem dummen Sabot herumlaufen.« Er schaute sich um, ob niemand in der Nähe war, und vertraute Tavi dann an: »Die stinken.«
»Ja«, meinte Tavi, »das finde ich auch.«
»Aleraner«, sagte Kitai. »In einer Sache hat mein Erzeuger Recht. Du bist mutig. Es ist mir eine Ehre, bei dem Gericht gegen dich anzutreten. Aber ich werde dich besiegen. Glaube nicht, dass es anders ausgehen kann, welche Geister du auch zu Hilfe rufst.«
Tavi spürte, wie seine Miene hart wurde. Kitai kniff die Augen zusammen, trat einen halben Schritt zurück und griff nach seinem Messer.
»Ich habe keine Geister«, erklärte Tavi. »Und auf meinem Wehrhof haben wir ein Sprichwort: Man soll die Küken nicht zählen, ehe sie geschlüpft sind.«
»Mein Volk isst die Eier, ehe die Vögel die Schale durchbrechen«, erwiderte Kitai und ging zu den Seilen. »Ich dachte, mit deinen Geistern würdest du es lebendig wieder nach oben schaffen, Aleraner. Ohne die brauchen wir für den Rückweg nur ein Seil.«
Tavi hatte bereits eine hitzige Erwiderung auf der Zunge, doch
Faede legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vorsicht, Tavi.« Und dabei nahm er seinen Rucksack vom Rücken und hängte ihn Tavi über.
Der Junge stöhnte unter dem Gewicht. »Faede, hm. Vielleicht sollte ich besser nichts mit nach unten schleppen. Je leichter ich bin, desto schneller kann ich mich bewegen.«
»Marat stärker als Tavi«, sagte Faede. »Schneller.«
»Danke«, gab Tavi verärgert zurück. »Solche Ermutigung kann ich gebrauchen.«
Aus Faedes Augen schaute der Schalk, und er zerzauste Tavi das Haar. »Tavi klug. Da. Sei klug, Tavi. Wichtig.«
Tavi sah den Sklaven schief an. »Faede?«, fragte er.
Das Funkeln verschwand aus den Augen, und er grinste Tavi dümmlich an.
»Taljunge«, rief Doroga. »Wir wollen keine Zeit verschwenden.«
Rasch sagte Tavi zu Faede: »Wenn ich nicht zurückkomme, sag bitte Tante Isana, wie lieb ich sie habe. Und auch dem Onkel, ja? Vergiss es nicht.«
»Tavi.« Faede nickte. »Komm zurück.«
Der Junge seufzte. Welcher Funken von Bewusstsein da auch in den Augen des Mannes geglimmt hatte, er war wieder erloschen. »Gut«, sagte er, ging zu Doroga und zog die Riemen des Rucksacks stramm, damit er fest auf dem Rücken saß.
Doroga hielt das Seil für Tavi. Der Junge schaute zu, wie der Marat, geschickt wie ein Seemann, eine Schlaufe hineinknotete und straff zog. Daraufhin erhob sich der Häuptling und wartete. Tavi begriff, trat mit dem Fuß hinein und packte das Seil.
Der Marat nickte zustimmend. Zu Tavis Rechter hatte sich Kitai sein Seil umgelegt und stand ungeduldig am Rande des Abgrunds. Tavi ging vorsichtig zum Loch und starrte hinunter. Es fiel mehrere hundert Fuß steil ab. Ihm wurde schwindelig und flau im Magen.
»Angst, Aleraner?«, fragte Kitai und lachte leise.
Tavi warf ihm einen scharfen Blick zu und wandte sich wieder an Doroga, der das Ende des Seils um einen Pfahl in der Erde geschlungen hatte und es gerade um einen zweiten legte, so dass er es nach und nach hinunterlassen konnte. »Auf geht’s«, sagte Tavi, stieg über die Kante und fiel hinab in die Leere.
Doroga hielt das Seil fest, und nach einem Schreckmoment schwang Tavi gegen die Steilwand und suchte sich Halt. Nun gab Doroga langsam nach, aber Tavi rief: »Schneller! Lass mich schneller runter!«
Erst passierte gar nichts, aber dann begann Tavi mit erschreckender Geschwindigkeit zu sinken.
Von oben hörte er ein Jaulen, als Kitai sich über den Rand schwang. Der Junge fiel ein ganzes Stück, und als sich sein Seil schließlich straff spannte, hatte Tavi das Gefühl, Hashat könne es nur mit Mühe halten. Kitai bedachte Tavi mit einem wütenden Blick und rief in einer fremden Sprache etwas nach oben. Im nächsten Moment sank auch er schneller.
Tavi stieß sich mit einem Fuß und einer Hand vom Stein ab, was anstrengender war, als er erwartet hätte. Bald geriet er ins Schnaufen, doch offensichtlich hatte er die Lage richtig eingeschätzt: Doroga fiel es mit seinen kräftigen Muskeln leichter, sein Seil herunterzulassen, als der schlanken Hashat, und rasch gewann Tavi einen beträchtlichen
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