Die Elementare von Calderon
fragte Tavi. »Kämpft er gegen dich? Ist er beim Pferdeclan?«
Doroga knurrte tief in der Kehle, und der Gargant unter ihnen reagierte mit einem Grollen, das Tavis Zähne klappern ließ.
»Schon gut«, sagte Tavi rasch. »Wie weit ist es bis zu dem gro ßen Baum und zurück?«
Doroga führte den Garganten einen langen Hang hinunter und zeigte nach vorn. »Sieh selbst.«
Tavi reckte den Hals und schaute Doroga über die breiten Schultern, musste aber schließlich einen Fuß auf den breiten Rücken des Tieres setzen und sich halb hinstellen. Faede hielt ihn am Gürtel fest.
Das Land fiel steil ab. Dunkle Schatten wechselten sich mit eisbedeckten Felsen ab, und es wirkte, als habe die Hand eines Riesen eine gewaltige Kuhle in die Erde gegraben. Ein niedriger Grat umgab kreisförmig einen Abgrund von so großem Durchmesser, dass Tavi im Schneegestöber die andere Seite nicht ausmachen konnte. Trübes, grünliches Licht leuchtete aus dem Loch herauf, und während der Gargant weitertrabte, konnte Tavi die Quelle erkennen.
Der Boden der Kuhle, die tief in die Erde reichte, war mit Bäumen bewachsen, wie Tavi sie nie zuvor gesehen hatte. Von ihren knorrigen Stämmen reckten sich Äste hoch in die Luft wie die Hände eines Ertrinkenden.
Diese Bäume wurden von der Lichtquelle bedeckt. Es handelte sich um eine Art Gewächs, das ein schwaches, bedrohliches Leuchten absonderte. Offensichtlich waren die Bäume von einem Pilz überwuchert, aber anders als andere schien dieser seine Wirte mit einer dicken, gallertartigen Masse zu überziehen. Näher am Rand des Loches konnte Tavi erkennen, dass dieses Gewächs Rinnen hatte und außerdem Stellen, die an Luftblasen erinnerten, welche unter der Masse eingefangen waren. Ja, es schien, als hätte man geschmolzenes Wachs über
die Bäume gegossen, außer auf die obersten Äste, die sich verzweifelt in die Höhe reckten, und so ähnelte das Ganze einem fantasievollen, bizarren Kunstwerk. So weit Tavi blicken konnte, schimmerte das leuchtende Wachs auf diesen verdrehten Bäumen, und von den Ästen und Stämmen hingen Girlanden der wachsartigen Pflanzen herab.
In der Mitte dieses seltsamen Gebildes erhob sich ein einzelner, uralter Baum, dessen abgestorbene Äste wohl im Laufe der Zeit verwittert waren. Obwohl Tavi keinen Vergleich hatte, schätzte er, dass dieser knorrige tote Stamm riesig sein musste.
»Der Wachswald«, sagte Tavi leise. »Mann. Niemand hat mir gesagt, dass er so schön ist.«
»Gefahr«, sagte Faede, »Gefahr, Tavi. Faede geht.«
»Nein«, erwiderte Tavi sofort. »Ich bin derjenige, der gesprochen hat. Ich muss mich dem Gericht stellen.« Er blickte Doroga an. »Oder?«
Doroga warf einen Blick auf Tavi und dann auf Faede. »Zu schwer«, sagte er.
Tavi legte den Kopf schief. »Wie bitte?«
»Zu schwer«, wiederholte Doroga. »Sein Gewicht wird die Oberfläche des Kroatsch durchbrechen. Des Wachses. Er wird die Hüter wecken, sobald er drauftritt. Nur unsere Welpen oder unsere kleinen Frauen können das Stille Tal betreten. Und es lebendig wieder verlassen.«
Tavi schluckte erneut. »Also gut«, sagte er. »Dann eben ich.«
Faede runzelte die Stirn, schwieg jedoch.
Obwohl der Gargant langsam dahinzutrotten schien, kam er rasch voran, und bald erreichten sie den Rand des Lochs. Dort wartete Hashat neben einem großen, hellen Pferd. Der Wind strich durch die weißen Mähnen, und die Maratfrau sah mit ihren langen Beinen fast aus wie eine Verwandte des Tiers. Das trübe Dämmerlicht der Winternacht glänzte auf der Adlerschnalle an ihrem Schwertgurt.
An der Seite, gleich am Rand des Abgrunds neben einigen Schneehaufen, saß Kitai, der immer noch das grobe Gewand trug. Er ließ die Beine über der Kante baumeln. Der Wind wehte ihm das Haar aus dem schmalen Gesicht, und wegen des Schneegestöbers hatte er die Augen zusammengekniffen.
Tavi starrte den anderen Jungen finster an, und der Schnitt an der Wange, den er am Morgen erlitten hatte, brannte wieder.
Doroga nickte Hashat wortlos zu und schnalzte mit der Zunge. Der Gargant schnaubte daraufhin, blieb stehen und ließ sich beinahe anmutig auf dem Boden nieder. Doroga ließ sich am Sattelriemen nach unten. Tavi folgte ihm, dann Faede.
»Doroga«, sagte Hashat und trat ihm stirnrunzelnd entgegen. »Bist du bereit?«
Doroga nickte.
Hashat sagte: »Die Nachricht zieht rasch ihre Kreise. Die Wölfe brachen gerade auf, als ich losritt, um Kitai herzubringen. Sie werden in der Dämmerung angreifen.«
Tavi
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