Die Elementare von Calderon
stockte der Atem. Er sah Faede an. Der Sklave wirkte besorgt, allerdings richtete er den Blick auf etwas anderes. Er starrte hinunter in den Wachswald.
Doroga grunzte. »Dann wird hier die Entscheidung fallen. Wenn der Aleraner siegt, brauchen wir nicht zu kämpfen.«
»Atsurak wird sich darüber nicht freuen, Doroga.«
Der große Marat zuckte mit den Schultern. »Vielleicht überlebt er den heutigen Tag nicht. Und wenn doch, dann eben doch. Das bleibt abzuwarten.«
Hashat nickte. »Beginnen wir.«
»Kitai«, rief Doroga.
Die Gestalt am Rande des Abgrunds rührte sich nicht.
Doroga knurrte: »Welpe!«
Immer noch keine Regung.
Nun wandte sich Doroga wieder Hashat zu. Die Marat mit der
Mähne verbarg ihr Lächeln ein wenig zu spät. »Dein Welpe wird langsam groß, Doroga. Ehe sie den Bund schließen, werden sie immer ein wenig launisch. Das weißt du.«
Doroga schnaubte. »Du willst Kitai einfach nur für die Pferde gewinnen.«
Hashat zuckte mit den Schultern. »Schnelligkeit, Klugheit. Was könntest du schon damit anfangen?« Sie hob den Kopf und rief: »Kitai. Wir sind bereit.«
Kitai stand auf, klopfte sich den Schnee vom Gewand und kam mit kühler Miene zu ihnen. Kaum einen Schritt vor Tavi blieb er stehen und starrte den aleranischen Jungen an.
Tavi verspürte plötzlich Angst, und wieder schmerzte die Wange. Stur schob er das Kinn vor. Er hatte sich noch nie von jemandem Angst machen lassen. Oft genug hatte man ihn verprügelt, doch der Furcht hatte er sich nie ergeben. Er trat näher an Kitai heran und starrte den anderen Jungen an. Ihre Augen befanden sich auf gleicher Höhe, und Kitai schien nicht so viel größer zu sein als er selbst. Tavi verschränkte die Arme und bedachte ihn mit einem finsteren Blick.
Kitai war unsicher, wie er darauf reagieren sollte, und sah Hashat an.
Doroga knurrte gereizt. »Ihr beide kennt das Gericht. Wer den Segen der Nacht als Erstes bringt und mir überreicht, ist der Sieger.« Er wandte sich an Tavi. »Aleraner, der Segen besitzt die Form eines Pilzes. Sein Kopf ist flach, der Stängel schlank, und er hat die Farbe der Nacht. Du findest ihn unten am großen Baum, in seinem Stamm.«
»Ein schwarzer Pilz«, sagte Tavi. »Am großen Baum. Gut, ich habe es begriffen.«
»Kitai, du bist mit dem Gericht vertraut.«
Der andere Junge nickte. »Ja, Erzeuger.«
Doroga wandte sich ihm zu und legte dem schmalen Jungen die großen Hände auf die Schultern. Er drehte ihn so, dass er ihn
ansehen konnte. »Sei vorsichtig. Deine Mutter würde sich wünschen, dass du vorsichtig bist.«
Kitai hob das Kinn, doch in seinen Augen glitzerte es. »Meine Mutter«, sagte er, »hätte den Segen geholt und wäre längst wieder zurück gewesen, während du noch redest, Erzeuger.«
Doroga zeigte die Zähne. »Ja«, stimmte er zu. Er drückte Kitais Schultern, ließ den Jungen los und wandte sich nun Tavi zu. »Wir lassen euch hinunter und warten bis zur Dämmerung. Sobald ihr aufgebrochen seid, gibt es keine Regeln mehr. Was zählt, ist nur das Ergebnis. Du kannst dich jetzt entscheiden, nicht an dem Gericht teilzunehmen, wenn du möchtest, Taljunge.«
»Um ins Lager zurückzukehren und verspeist zu werden?«
Doroga nickte. »Ja. Leider ja.«
Tavi lachte nervös. »Ja, danke. Ich versuche es lieber mit den Hütern, glaube ich.«
»Dann fangen wir an.« Doroga ging zu einem der großen Schneehaufen, grub mit den Händen darin und zog eine große Rolle Seil hervor, das auf eine Art und Weise geflochten war, wie Tavi es noch nie gesehen hatte. Neben dem Häuptling befreite Hashat ein zweites Seil vom Eis.
Tavi bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich Kitai neben ihn stellte. Der Maratjunge beobachtete die beiden Erwachsenen, die nun die Länge der Seile überprüften. »Das ist ein Seil von den Gadrim-ha . Die ihr Eismenschen nennt. Es wurde aus den Haaren ihrer Frauen geflochten, vereist nicht und reißt nicht.«
Tavi fragte: »Du warst schon einmal unten?«
Kitai nickte. »Zweimal. Aber nicht, um ein Urteil von Dem Einen fällen zu lassen. Zweimal bin ich mit dem Segen zurückgekehrt. Und zwar als Einziger.«
Bei diesen Worten schnürte sich Tavi die Kehle zu.
»Angst, Aleraner?«
»Du nicht?«
»Doch«, sagte Kitai. »Angst zu verlieren. Für mich hängt alles von dieser Nacht ab.«
»Das verstehe ich nicht.«
Kitai schnaubte. »Wenn ich vor dir mit dem Segen zurückkehre, habe ich die Ehre meines Erzeugers bei einem Gericht vor Dem Einen verteidigt. Dann bin ich ein
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