Die Elementare von Calderon
verschwor, die für die kalten Winde zuständig war, welche vom großen Eismeer im Norden heranwehten. Gemeinsam würden sie die Wolken wie eine Viehherde vor sich hertreiben und den Bewohnern des Tales noch vor Sonnenuntergang einen Sturm bescheren.
»Bis dahin sind wir längst zurück«, versprach Bernard ihr.
»Gut. Ach, Tavi?«
»Ja, Tante Isana?«
»Hast du eine Ahnung, woher Beritte einen frischen Kranz aus Honigglöckchen hat?«
Tavi sah seinen Onkel schuldbewusst an und errötete. »Die wird sie irgendwo gefunden haben.«
»Ich verstehe. Noch hat sie das Heiratsalter nicht erreicht. Sie ist zu flatterhaft, um für ein Kind zu sorgen, und ganz bestimmt
ist sie zu jung, um Honigglöckchen zu tragen. Ob sie noch mehr finden wird?«
»Nein, Tante.«
»Hervorragend«, erwiderte Isana knapp. »Wir sprechen nach eurer Rückkehr über die Sache.«
Tavi zuckte zusammen.
Bernard beherrschte sich, bis die Wasserskulptur wieder in den Bach gesunken und die Verbindung zu Isana beendet war. Erst dann lachte er. »Kein Mädchen im Spiel, wie? Ich habe gedacht, Fred würde Beritte nachstellen.«
»Stimmt ja auch.« Tavi seufzte. »Vermutlich trägt sie die Honigglöckchen für ihn. Aber sie hat mich gebeten, ihr welche zu holen, und... na ja, es kam mir ungeheuer wichtig vor.«
Bernard nickte. »Es ist keine Schande, einen Fehler zu machen, Tavi - vorausgesetzt, man lernt daraus. Ich bin überzeugt, du bist klug genug, um diese Lektion zu begreifen, und weißt von nun an, was wichtiger ist. Also?«
Tavi runzelte die Stirn. »Also was?«
Bernard lächelte immer noch. »Was hast du heute Morgen gelernt?«
Mürrisch blickte Tavi zu Boden. »Dass Frauen nur Ärger machen, Onkel.«
Unvermittelt brach Bernard in schallendes Gelächter aus, und Tavi sah seinen Onkel an und grinste hoffnungsvoll. Bernards Augen funkelten fröhlich. »Ach, Junge. Das ist nur die halbe Wahrheit.«
»Und worin besteht die andere Hälfte?«
»Man will die Frauen trotzdem«, erklärte Bernard. Er schüttelte den Kopf, doch das Lächeln verweilte auf den Lippen und in den Augen. »Ich habe auch die eine oder andere Dummheit angestellt, um Mädchen zu imponieren.«
»Und? War es die Sache wert?«
Bernards Lächeln verschwand, obwohl er nicht den Eindruck
erweckte, nun weniger amüsiert zu sein. Er schien einfach innerlich zu lächeln, wie über etwas, das er niemals jemandem preisgegeben hatte. Über seine verstorbene Frau sprach Bernard nicht, auch nicht über die Kinder, die ebenfalls nicht mehr lebten. »Ja. Jeden Kratzer und jeden blauen Fleck.«
Tavi wurde ernst. »Hältst du Bittan für schuldig?«
»Vermutlich«, antwortete Bernard. »Aber ich könnte mich auch irren. Bis wir nicht alle angehört haben, dürfen wir uns nicht festlegen. Deine Tante kann er schließlich nicht anlügen.«
»Ich aber schon.«
Bernard lachte. »Du bist auch ein bisschen schlauer als Bittan. Und du hast dein ganzes Leben lang geübt.«
Tavi lächelte seinen Onkel an und sagte: »Onkel, ich kann die Herde allein finden. Ganz bestimmt.«
Bernard sah Tavi eingehend an. Daraufhin deutete er mit dem Kopf in Richtung Dammweg. »Na, dann beweis es mir, Junge.«
4
Isana blickte von ihrer Wahrsageschale auf und runzelte leicht verärgert die Stirn. »Eines Tages lädt sich der Junge so viel Ärger auf, dass er sich nicht mehr herausreden kann.« Die fahle Herbstsonne schien durch die Fenster der Hauptküche von Bernardhof herein. Der Duft der Brote, die in den breiten Öfen buken, zog durch den Raum und vermischte sich mit dem des Saftes, der von den Braten in die Glut tropfte. Isana tat der Rücken weh von der morgendlichen Arbeit, die schon vor Sonnenaufgang begonnen
hatte, und so bald würde sie keine Zeit für eine Pause finden.
Wann immer sie sich von den Vorbereitungen für einen Augenblick losreißen konnte, schaute sie in ihre Wahrsageschale und beobachtete mit Bächleins Hilfe aufmerksam die Kordhöfer und die Leute von Warner. Warner und seine Söhne hatten sich zu Frederic dem Älteren, dem Aufseher der Garganten des Wehrhofes, gesellt und halfen ihm und seinem kräftigen Sohn, Frederic dem Jüngeren, die Ställe der riesigen Tiere auszumisten.
Kord und sein jüngster Sohn faulenzten im Hof. Der ältere Junge, Aric, hatte den Morgen über Holzscheite gespalten und so seine überschüssige Energie abgearbeitet. Die Spannung, die in der Luft lag, war selbst für jene spürbar, die nicht über die Fähigkeit verfügten, Wasser zu
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