Die Elementare von Calderon
Kopf, und eine der Blüten fiel aus ihrem Haar. »Nein, nein, Herrin.« Isana spürte, wie das Mädchen sich bei der Lüge innerlich wand. »Ich habe sie nicht gepflückt. Ehrlich, ich -«
Nun platzte Isana der Kragen, und sie fuhr das Mädchen an: »Oh, Beritte. Du bist noch nicht alt genug, um mich anlügen zu können. Ich muss ein Bankett vorbereiten, und ich habe keine Zeit, mich mit einem ungezogenen Kind zu beschäftigen, das glaubt, nur weil es langsam Brüste bekommt, sei es schlauer als die Erwachsenen.«
Beritte sah Isana an, und die Röte in ihrem Gesicht vertiefte sich noch angesichts der Demütigung. Dann fauchte sie wütend zurück: »Neidisch, Herrin?«
Isanas eigene Wut verrauchte, dafür breitete sich ein fremder eiskalter Zorn in ihr aus. Einen Moment lang vergaß sie die Küche und die möglichen Katastrophen, die sich am heutigen Tag noch im Wehrhof zutragen könnten, und richtete ihre Aufmerksamkeit ganz auf das üppig ausgestattete Mädchen. Einen kurzen Augenblick verlor sie die Kontrolle über ihre Gefühle und spürte, wie ein alter, bitterer Zorn in ihr aufstieg.
Alle Töpfe in der Küche kochten plötzlich über, Dampf breitete sich in einer Wolke aus, hüllte Isana ein und zog in Richtung des Mädchens, siedendes Wasser floss als niedrige Welle auf sie zu.
Isana spürte, wie sich Berittes Trotz binnen weniger Augenblicke in Schrecken verwandelte. Das Mädchen starrte sie mit aufgerissenen Augen an. Beritte warf die Hände in die Luft und sprang von ihrem Stuhl auf, wobei die schwachen Windgeister, die sie versammelt hatte, den heranwirbelnden Dampf gerade lange genug aufhielten, um ihr die Flucht zu erlauben. Sie machte einen Satz über das erste Rinnsal des Wassers, das auf sie zuströmte, und rannte schluchzend aus der Küche.
Isana ballte die Hände zu Fäusten, schloss die Augen, riss ihre Gedanken von dem Mädchen los und zwang sich, tief durchzuatmen, damit sie wieder die Kontrolle über ihre Gefühle erlangte. Die nackte Rage wütete in ihr wie ein lebendiges Wesen, das sie zerreißen und sich aus ihr befreien wollte. Sie spürte es in ihrem Bauch, in ihren Knochen. Mit Mühe bekämpfte sie dieses Wesen, sperrte es aus ihrem Verstand aus, und derweil verbreitete sich der Dampf im ganzen Raum und schlug sich auf dem dicken Glas der Fenster nieder. Die Töpfe beruhigten sich. Das Wasser sammelte sich in natürlichen Pfützen auf dem Boden.
Isana stand inmitten der Dampfschwaden und des übergelaufenen Wassers und atmete tief durch. Jetzt war es ihr schon wieder
passiert. Sie hatte erlaubt, dass Gefühle eines anderen Menschen zu starken Einfluss auf ihre Gedanken und ihre Wahrnehmung ausübten. Berittes Unsicherheit und Trotz waren in Isana eingedrungen und hatten sie übermannt, ohne dass sie es verhindert hätte.
Sie rieb sich mit den schlanken Fingern die Schläfen. Die zusätzlichen Sinne einer Wasserwirkerin erzeugten das Gefühl, eine weitere Art von Geräuschen vernehmen zu können - Geräusche, als würden Eiderdaunen über ihre Schläfen streichen. Es fühlte sich fast so an, als würden sie ihr den Schädel wundkratzen, als würde sie Blasen im Gesicht bekommen von der Reibung, die all diese Emotionen in ihr hervorriefen.
Leider gab es wenig, was sie dagegen tun konnte, außer die Fassung zu wahren und zu ertragen, was nun kommen würde. Niemand konnte die Augen öffnen und sich dann einfach entscheiden, sie nicht zu benutzen. Zwar hatte sie die Möglichkeit, die Wahrnehmungen, die Bächleins Anwesenheit ihr vermittelten, ein wenig zu dämpfen, doch war sie nicht in der Lage, sie vollständig auszublenden. Mit dieser Tatsache musste eine Wasserwirkerin, die über Kräfte verfügte wie sie, schlicht leben.
Eine Tatsache unter vielen, dachte sie. Isana bückte sich und redete murmelnd auf die kleinen Elementare im Wasser auf dem Boden ein, bis die Tropfen und Pfützen zu einer festeren Masse zusammenliefen. Isana schaute ihnen dabei zu und wartete noch, bis auch das Wasser aus den Ecken der Küche herbeigelaufen war.
Das Spiegelbild ihres eigenen Gesichts blickte sie an, schmal und glatt, kaum älter als das eines Mädchens. Sie zuckte zusammen und dachte an das Gesicht, das Bächlein ihr stets zeigte. Vielleicht unterschied es sich gar nicht so sehr von ihrem wirklichen.
Sie strich sich mit einem Finger über die Wange. Ihr Gesicht war immer noch schön. Sie war fast vierzig Jahre alt und sah aus, als wäre sie zwanzig. Nach weiteren vier Jahrzehnten würde sie
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