Die Elementare von Calderon
hinzugefügt, sie bestanden aus Balken und Ziegeln, die Halle selbst jedoch war aus einem einzigen riesigen Fels geformt worden, den man in langen, anstrengenden Stunden mit Elementaren aus der Tiefe geholt hatte. Der großen Halle und allen, die darin Schutz suchten, konnten Stürme, mochten sie auch noch so heftig sein, nichts anhaben, und das Gleiche galt für ein weiteres Gebäude auf dem Wehrhof, die Scheune, wo das wertvolle Vieh untergebracht war.
In der Halle drängten sich die Menschen. Das Hofvolk, mehrere große Familien, hatte sich versammelt. Die meisten saßen an den Tischen, die früher am Abend aufgestellt worden waren, und inzwischen hatte man auch das Essen aufgetragen, das seit dem Morgen vorbereitet worden war. In der Halle herrschte eine gedrückte Stimmung, und sogar die Kinder, die für gewöhnlich herumgetobt hätten, weil sie wegen des Sturms keine Aufgaben zu erledigen hatten, verhielten sich still. So hörte man lediglich angespanntes Murmeln, und jedes Mal, wenn draußen der Donner grollte, verstummten die Menschen und blickten zu den Türen der Halle.
Der Raum war geteilt. In den Feuerstellen an beiden Enden loderten Flammen. Auf der gegenüberliegenden Seite hatten sich die anderen Wehrhöfer um einen kleinen Tisch versammelt. Beritte führte Isana zum zweiten Feuer, wo man Bernard niedergelegt hatte. Dazwischen saß das Volk von Bernardhof in mehreren Gruppen eng beieinander. Man hatte Decken ausgebreitet, auf denen man schlafen konnte, sollte der Sturm die ganze Nacht andauern. Gespräche wurden nur gedämpft geführt, vielleicht
wegen der Streitigkeiten, die mittags stattgefunden hatten, dachte Isana, und anscheinend wollte sich niemand drüben bei der Feuerstelle niederlassen.
Isana schritt an Beritte vorbei zu dem Feuer auf ihrer Seite. Die alte Biette, die Hoflehrerin für den Umgang mit Elementaren, hatte sich zu Bernard gesetzt, der auf einer Pritsche lag. Sie war eine betagte und gebrechliche Frau, deren langer weißer Zopf tief den Rücken hinabreichte. Ihre Hände zitterten, und weit konnte sie nicht mehr gehen, doch war sie noch recht gut beieinander, und das Alter trübte weder ihren Verstand noch ihre Augen.
Bernards Gesicht wirkte blass wie das eines Toten, und einen Augenblick lang befürchtete Isana schon das Schlimmste. Aber dann hob sich seine Brust und senkte sich, und sie schloss die Augen, um Kraft zu schöpfen. Bernard war mit weichen Wolldecken zugedeckt, bis auf das rechte Bein, das offen lag und mit Blut verschmiert war. Um den Oberschenkel hatte jemand Verbände gewickelt, die ebenfalls mit Blut durchtränkt waren, und Isana erkannte sofort, dass sie gewechselt werden mussten.
»Isana«, krächzte Biette mit ihrer altersheiseren Stimme. »Ich habe für ihn getan, was in meiner Macht steht, Kind. Nadel und Faden sind aber nicht alles.«
»Was ist geschehen?«, fragte Isana.
»Wir wissen es nicht«, sagte Biette und lehnte sich zurück. »Er hat eine schreckliche Wunde am Oberschenkel. Vielleicht von einem Tier, allerdings könnte es auch eine Axt oder eine Klinge gewesen sein. Offensichtlich konnte er die Wunde noch abbinden und auch ein- oder zweimal wieder aufmachen. Das Bein können wir retten - aber er hat so viel Blut verloren. Im Moment ist er bewusstlos, und ich weiß nicht, ob er wieder aufwachen wird.«
»Ein Bad«, sagte Isana. »Wir müssen ihn in eine Wanne legen.«
Biette nickte. »Ich habe schon danach geschickt, es sollte bald alles hier sein.«
Isana nickte ebenfalls. »Und Tavi soll herkommen. Ich möchte wissen, was meinem Bruder zugestoßen ist.«
Biette blickte Isana traurig und durchdringend aus dunklen Augen an. »Tavi ist nicht mit ihm zurückgekehrt, Kind.«
»Wie bitte?« Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Sie kämpfte dagegen an und überspielte ihr Entsetzen, indem sie Haare, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, aus dem Gesicht strich. Ganz ruhig. Sie war die Herrin dieses Wehrhofes. Sie durfte jetzt auf keinen Fall die Beherrschung verlieren. »War er nicht bei Bernard?«
»Nein. Er ist nicht hier.«
»Wir müssen ihn suchen«, sagte Isana. »Draußen tobt ein Elementarsturm. Tavi ist dem Wetter schutzlos ausgeliefert.«
»Nur der arme Trottel Faede traut sich bei diesem Orkan nach draußen, Kind«, sagte Biette. »Er ist zur Scheune gegangen, um die Türen zu überprüfen, und dabei hat er Bernard gefunden. Die Elementare wachen über Narr und Kind, wie es so schön heißt. Vielleicht beschützen sie auch Tavi.«
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