Die Elementare von Calderon
mir nichts ein.«
»Findest du die Stelle?«, wollte das Mädchen wissen.
»Keine Ahnung. Kannst du so weit laufen?«
Sie warf ihm einen empörten Blick zu und funkelte ihn aus den braunen Augen an. »Ja«, sagte sie. »Gib mir ein bisschen Salz.«
Tavi reichte ihr die Hälfte der wenigen Kristalle, die kaum eine Hand füllten, und die Sklavin nahm sie entgegen und schloss die Finger darum.
»Bei den Elementaren«, entfuhr es ihr. »Weit kommen wir damit nicht.«
»Vor allem nicht, wenn wir hier noch lange herumstehen«, rief Tavi und zog sie am Arm. »Auf jetzt!« Er drehte sich um und wollte losgehen, doch das Mädchen sprang auf ihn zu und stieß
ihn hart in die Seite. Tavi ging mit einem Aufschrei zu Boden und blieb verwirrt liegen.
Während er sich frierend aufrappelte, fragte er sie schroff: »Was machst du denn?«
Die Sklavin richtete sich langsam auf und sah ihm in die Augen. Sie wirkte müde und konnte ihren Stock kaum mehr halten. Vor ihren Füßen lag eine tote Schleiche, fein säuberlich zermalmt.
Tavi sah von dem Tier zu dem Mädchen und entdeckte dunkles Blut am Ende ihres Stocks. »Du hast mir das Leben gerettet«, platzte es aus ihm heraus.
Ein Blitz zuckte über den Himmel. In der Kälte und im Wind lächelte die Sklavin, entblößte trotzig ihre Zähne und zitterte. »Wenn du uns hier rausbringst, sind wir quitt.«
Er nickte und schaute sich um. Im Licht eines Blitzes sah er die dunkle, gerade Linie des Dammwegs, an dem er sich orientieren konnte. Also kehrte er dem düsteren Garados den Rücken zu, ging hinein in die Dunkelheit und hoffte nur, dass sie die Zuflucht finden würden, ehe die Windmähnen wieder Mut gesammelt hätten und einen weiteren Angriff wagten.
9
Isana erwachte von trampelnden Schritten auf der Treppe zu ihrem Zimmer. Sie hatte den ganzen Tag verschlafen, inzwischen war die Nacht angebrochen, und sie hörte, wie Regen und Graupel auf das Dach prasselten. Obwohl ihr Kopf heftig schmerzte, setzte sie sich auf.
»Herrin«, keuchte Beritte atemlos. In der Dunkelheit stolperte sie an der obersten Stufe, fiel auf den Boden und gab einen gar nicht damenhaften Fluch von sich.
»Lampe«, murmelte Isana und zwang sich zu einer altbekannten Willensanstrengung. Der Funkenkobold erwachte auf seinem Docht zum Leben und tauchte den Raum in schwachen, goldenen Schein. Isana drückte die Handballen an die Schläfen und versuchte, ihre gehetzten Gedanken zu ordnen. Der Regen ging in Strömen nieder, und der Wind heulte wütend. Draußen flackerten Blitze, auf die kurz darauf ein eigenartiges Donnertosen folgte.
»Der Sturm«, entfuhr es Isana. »Er klingt irgendwie falsch.«
Beritte war wieder auf die Beine gekommen und vollführte hastig einen Knicks. Die roten Honigglöckchen, die langsam verwelkten, ließen Blütenblätter auf den Boden rieseln. »Es ist entsetzlich, Herrin, entsetzlich. Alle haben solche Angst. Und der Wehrhöfer. Der Wehrhöfer ist zurück, und er ist schlimm verwundet. Biette hat mich geschickt, dich zu holen.«
Isana holte scharf Luft. »Bernard.« Sie sprang aus dem Bett. In ihrem Kopf breitete sich pochender Schmerz aus, und sie musste sich an der Wand abstützen. Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, versuchte sie die aufkeimende Panik zu unterdrücken und sich gegen den Schmerz zu wappnen. Undeutlich fühlte sie die Angst, den Zorn und die Sorgen der anderen Menschen im Wehrhof, die von der Halle unten zu ihr aufstiegen. Mehr denn je brauchten sie Kraft und jemanden, der sie führte.
»Also gut«, sagte sie, schlug die Augen auf und zwang sich, all die Sorgen, die sie bewegten, nicht auf ihrem Gesicht zu zeigen. »Bring mich zu ihm.«
Beritte lief voraus, und Isana folgte ihr mit kurzen, entschlossenen Schritten. Als sie in den Gang kamen, wallte die Furcht aus dem Raum unter ihnen auf, legte sich über sie, fast wie ein kaltes, feuchtes Tuch, das an ihrer Haut klebte, und setzte Isana fürchterlich zu. Sie zitterte und blieb einen Moment lang stehen, um das
Gefühl der Kälte zu vertreiben, bis dieser immense Druck ein wenig nachließ. Die Angst würde nicht einfach verschwinden, wie sie wusste, doch im Augenblick musste sie diese Gefühle von sich fernhalten, damit sie überhaupt in der Lage war zu handeln.
Nun ging sie die letzten Stufen zur großen Halle von Bernardhof hinunter. Der Raum maß hundert Fuß in der Länge, war ungefähr halb so breit und aus einem uralten Granitgestein erschaffen worden. Die Wohnräume darüber hatte man später
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