Die Elenden von Lódz
Hilfsorganisation JDC, Joint Distribution Committee, die alle Arten von Wohltätigkeitseinrichtungen in Polen anstandslos und großzügig unterstützte. Den Rest des Geldes trieb er auf dieselbe Weise ein, wie er zuvor Lebensversicherungen verkaufte. Er hatte da seine Methoden.
Nun wären wir also wieder bei Herrn Tod angelangt. Diesmal aber verkauft er keine Lebensversicherungen, sondern Unterstützungen für den Lebensunterhalt und die Erziehung von Waisen. Alle seine Kinder |50| haben Namen. Sie heißen Marta, Chaja, Elvira und Sofia Granowska. In seiner Brieftasche trägt er Bilder von ihnen. Kleine krummbeinige Drei- oder Vierjährige, eine Hand im Mund, die andere in der Luft, nach einem unsichtbaren Erwachsenen fuchtelnd.
Und nun können die künftigen Versicherungsnehmer sich nicht länger hinter Küchengardinen verstecken. Herr Tod hat sich einen Beruf zugelegt, der ihm erlaubt, sich über Leben und Tod zu stellen. Er sagt, es sei die moralische Pflicht eines jeden Juden, für Schwache und Bedürftige zu spenden. Und wenn der Spender nicht gibt, was er verlangt, droht er, dass er alles tun werde, um dessen Ruf zu schädigen.
Seine Kinderkolonie wuchs und gedieh.
Sechshundert Waisen wohnten im Jahr vor Kriegsbeginn in Helenówek, und alle sahen in Rumkowski einen Vater; alle begrüßten ihn freudig, wenn er von der Stadt her die lange Gutsallee entlanggefahren kam. Seine Jackentaschen waren stets mit Süßigkeiten vollgestopft, die er wie Konfetti über die Kinder regnen ließ, um dafür zu sorgen, dass sie hinter ihm herrannten und nicht er hinter ihnen.
Doch Herr Tod bleibt Herr Tod, egal, in welchen Mantel er sich hüllt:
Es gibt eine besondere Art wildes Tier, erzählte er einmal den Kindern im Grünen Haus. Es setzt sich zusammen aus kleinen Teilen aller Tiere, die der Herr je geschaffen hat. Der Schwanz dieses Tieres ist gespalten, man sieht es auf vier Beinen gehen. Es hat Schuppen wie Schlangen oder Echsen und Zähne, scharf wie ein Keiler. Unrein ist es, sein Bauch schleift auf dem Boden. Sein Atem ist heiß wie Feuer und verbrennt alles um sich herum zu Asche.
Ein solches wildes Tier ist im Herbst 1939 zu uns gekommen.
Hat alles verwandelt. Auch Menschen, die früher friedlich Seite an Seite lebten, wurden ein Teil vom Körper dieses wilden Tieres.
Am Tag, nachdem deutsche Panzer und Armeefahrzeuge auf den Łódźer Plac Wolności gerollt waren, ging eine Gruppe SS-Männer die Piotrowska, die Hauptstraße der Stadt, hinunter, betrunken vom billigen polnischen Wodka, und riss jüdische Kaufleute aus ihren Läden oder von ihren Droschken. Es hieß, irgendwo würden billige jüdische |51| Arbeitskräfte gebraucht. Die Juden hatten nicht einmal Zeit, ihre Habseligkeiten zu packen. Sie wurden in großen Haufen versammelt, in Reih und Glied aufgestellt und bekamen den Befehl, in die eine oder andere Richtung abzumarschieren.
Jene, die Handel betrieben, schlossen nun ihre Läden. Familien, die die Möglichkeit dazu hatten, verbarrikadierten sich in ihren Wohnungen. Die deutschen Besatzungsbehörden erließen daraufhin ein Dekret, das der Gestapo erlaubte, in sämtliche Häuser einzudringen, in denen sich Juden versteckten oder dem Sagen nach ihre Reichtümer verbargen. Alles von Wert wurde beschlagnahmt. Wer protestierte oder sich zur Wehr setzte, wurde vor den Augen aller gezwungen, sich den verschiedensten demütigenden Handlungen zu unterziehen. Ein hoher Gestapooffizier spuckte auf die Straße. Hinter ihm kamen drei Frauen, die sich darum prügeln mussten, wer als Erste zur Stelle war, um den Speichel aufzulecken. Andere Frauen erhielten die Anweisung, die öffentlichen Toiletten der Stadt mit ihren eigenen Zahnbürsten und der eigenen Unterwäsche zu säubern. Jüdische Männer, junge wie alte, wurden vor Wagen und Fuhrwerke gespannt, und man zwang sie, diese vollbeladen mit Steinen oder Abfall von einem Ort zum anderen zu schleppen. Sie dann auszuladen, und gleich darauf wieder alles einzuladen. Normale Polen standen schweigend daneben – oder spendeten töricht Beifall.
Die Mitglieder des jüdischen Gemeinderats versuchten mit den neuen Machthabern zu verhandeln; gemeinsam oder jeder für sich unternahmen sie Vorstöße bei dem neuen deutschen Stadtkommissar Leister. Am Ende stimmte Leister zu, einen gewissen Doktor Klajnzettel im Grand Hotel zu empfangen, wo er zur selben Zeit eine Zusammenkunft mit dem Regierungspräsidenten Friedrich Uebelhoer hatte. Doktor Klajnzettel war Jurist
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