Die Elenden von Lódz
Falschheit hinter jeder Rechnung. Am Ende war es auch zu Konflikten zwischen ihm und seinem Kompagnon gekommen. Dann folgten das russische Abenteuer und der Bankrott.
Als er nach dem Krieg nach Łódź zurückkehrte, versuchte er sich als Versicherungsagent für Gesellschaften wie Silesia und Prudential. An den Fenstern sammelten sich neugierige und angsterfüllte Gesichter, wenn er an die Tür klopfte, doch niemand wagte zu öffnen. Man nannte ihn
Pan Śmierć
, Herr Tod, und sein Gesicht glich auch dem des Todes, |48| wenn er sich durch die Straßen schleppte, denn die Zeit in Russland hatte ihm eine Herzkrankheit beschert. Oft saß er allein in einem der eleganten Cafés an der Piotrkowska, in denen Ärzte und Rechtsanwälte verkehrten, zu deren vornehmen Kreisen er gern gezählt hätte.
Doch niemand wollte den Tisch mit ihm teilen. Sie wussten, er war ein ungebildeter Mann, der zu heftigsten Drohungen und Verunglimpfungen neigte, um seine Versicherungen zu verkaufen. Zu einem Farbenhändler in der Kościelna hatte er gesagt, jener würde tot umfallen, wenn er nicht umgehend für seine Familie unterschrieb, und am Morgen darauf fand man den Mann tot unter dem hochklappbaren Teil des Ladentisches, und seine Ehefrau und die siebenköpfige Kinderschar standen plötzlich ohne alle Mittel für ihre Versorgung da. Zum Cafétisch des Herrn Tod kamen und gingen Männer mit geheimen Nachrichten, sie saßen mit dem Rücken zum Raum und wagten ihre Gesichter nicht zu zeigen. Es hieß, dass er bereits damals mit gewissen Personen verkehrte, die später im Getto dem Beirat angehörten –
»drittrangige Gestalten mit mangelndem Sinn fürs Gemeinwohl und mit noch viel weniger Ehre und Anstand«
. Statt der »großen Männer«, die er beneidete, schien ihm überall, wo er ging und stand, ein Vagabundenpack zu folgen.
Dann aber geschah etwas: eine Bekehrung.
Den Kindern und Kinderschwestern im Grünen Haus sollte er später berichten, dass das Wort des Herrn sich ihm plötzlich und unerwartet mit der Kraft einer
Mahnung
offenbart hatte. Von diesem Tag an, so sagte er, sei die Krankheit von ihm gewichen, so rasch wie die allerflüchtigste Sinnestäuschung.
Es war zur Winterzeit. Niedergeschlagen hatte er sich durch eine der dunklen Gassen von Zgierz geschleppt und war auf ein Mädchen gestoßen, das zusammengekrümmt unter dem Blechschutz einer Straßenbahnhaltestelle hockte. Das Mädchen hatte ihn angehalten und mit vor Kälte zitternder Stimme gefragt, ob er ihr etwas zu essen geben könne. Er hatte seinen langen Mantel ausgezogen, das Mädchen darin eingehüllt und gefragt, was es zu so später Stunde noch auf der Straße mache und warum es nichts zu essen habe. Das Mädchen hatte geantwortet, |49| dass seine Eltern beide tot seien und es keine Bleibe habe. Von seinen Verwandten habe es auch niemand in den Haushalt aufnehmen oder ihm etwas zu essen geben wollen.
Da nahm der künftige Präses das Mädchen mit hinauf zum Scheitelpunkt der Straße, dorthin, wo der Klient, den er zu besuchen gedachte, im obersten Stockwerk eines großen, imposanten Hauses wohnte. Er war ein Geschäftsfreund des berühmten Stoffhändlers und Philanthropen Heiman-Jarecki. Rumkowski sagte zu diesem Mann, wenn er auch nur das Geringste davon wüsste, was jüdische
zdoke
besagen wollte, dann würde er sich des elternlosen Mädchens unverzüglich annehmen, ihm eine nahrhafte Mahlzeit und ein warmes Bett zum Schlafen geben; und der Geschäftsmann, der zu diesem Zeitpunkt verstanden hatte, dass er bei einer Weigerung riskierte, sich dem Tod auszusetzen, wagte nichts anderes zu tun, als was Rumkowski verlangte.
Von diesem Tag an war Rumkowskis Leben radikal verändert.
Voll neuer Energie erwarb er einen verfallenen Hof in Helenówek am Rand von Łódź und gründete ein Landheim für elternlose Kinder. Sein Ziel war, dass kein jüdisches Kind ohne Nahrung, Unterkunft und zumindest eine rudimentäre Schulbildung aufwachsen sollte. Er las sehr viel, nun auch zum ersten Mal Werke der Gründerväter der zionistischen Bewegung: Achad Haam und Theodor Herzl. Er träumte davon, freie Kolonien zu schaffen, in denen die Kinder nicht nur wie richtige Kibbuzniks den Boden bestellten, sondern auch einfachere Handwerkstätigkeiten erlernten, als Vorbereitung für die Berufsschulen, die nach dem Verlassen des Kinderheims auf sie warteten.
Mittel für das Betreiben seiner
Kinderkolonie
bekam er unter anderem von der jüdisch-amerikanischen
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