Die Elfen 04 - Die Elfenkönigin
Kämpfe dulden keine Zuschauer. Ein Traumfänger beginnt schon früh am Tag damit, sich für die Nacht vorzubereiten. Er reibt seine Haut mit frischem Lehm ein. Dann erwählt er einen Vertrauten, um ihm mit Kalk oder zerstoßener Holzkohle das Traumnetz auf den Leib zu malen. Es ist ein magisches Muster. Keine zwei sehen gleich aus. Der Traumfänger weiß, welche Linien und Zeichen in dieser Nacht die Yingiz locken werden, denn er trägt ein Stück trockenes Hattah im Mund, um seine Magie zu stärken. Er zeichnet mit einem Stab das Muster in den Sand. Und sein Vertrauter überträgt es dann sorgfältig auf seinen Leib. Das dauert bis weit in den Nachmittag. Dann verlässt der Traumfänger das Lager. Er geht immer allein. Das Hattah führt ihn. Sein einziger Schutz sind die Geister unserer Ahnen, die immer nahe sind. Er sucht einen Ort, der geeignet ist, dunkle Träume einzufangen, bevor sie die arglosen Schlafenden erreichen. Es ist immer ein Ort, der sich über das Land erhebt. Der Kamm einer besonders hohen Düne. Ein Berg oder eine der einsamen Felsnadeln tief in der Wüste. Sobald der rechte Ort gefunden ist, speit der Traumfänger die Reste des Hattah aus, denn es würde ihn schwächen, wenn er sich den Seelenfressern stellt. Wenn die Dämmerung kommt, beginnt er zu singen. Jeder hat ein anderes Lied. Und er nimmt eine Muschel in den Mund. Du hast sie sicher gesehen. Kleine, gedrehte Muscheln, die ein wenig wie Hörner aussehen. Unsere Traumfänger tragen sie als Schmuck.«
Emerelle nickte kurz. Sie sagte nichts, um Dobons Erzählung nicht unnötig zu unterbrechen. Er sprach jetzt endlich freier, ohne zu stocken.
»Ich glaube, es ist wichtig, einen Platz zu wählen, der nahe beim Himmel ist. Weißt du, die Yingiz hausen in der Finsternis des Himmels. Manche glauben sogar, die Finsternis kommt von ihnen.«
Die Königin hielt das für dummen Aberglauben, aber sie schwieg.
»Die bösen Träume schweifen über das Land, wenn die Dämmerung sich senkt. Die Traumnetze locken sie an. Ein Traumfänger schläft nicht wirklich. Täte er das, dann wäre er den Träumen ausgeliefert, wie alle anderen auch. Er ist in Trance. In einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Die Geister unserer Ahnen sind dann zum Greifen nahe, sie machen den Traumfängern Mut. Wenn die bösen Träume kommen, dann muss man sie durchleben, auch wenn man nicht schläft. Sie werden eingefangen. In dem kleinen Muschelhorn, das jeder Traumfänger auf seiner Zunge trägt. Die bösen Träume, die die Yingiz schicken, verirren sich in den Windungen der kleinen Muschel. Sie können dort nicht mehr hinaus. Neunundneunzig Nächte lang muss man die Muschel verwahren. In dieser Zeit verliert der Traum all seine Kraft. Danach darf der Traumfänger das Muschelhorn als Schmuck tragen, zum Zeichen dafür, wie er gegen die Yingiz bestand.«
Das alles kam Emerelle sehr abwegig und zutiefst unglaubwürdig vor. »Wie wird der Traum gefangen? Das habe ich nicht ganz verstanden. Was tut der Traumfänger?« Dobon seufzte leise, als habe er es mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun. »Er durchlebt den Traum, nur dass er dabei nicht wirklich schläft. Er kann das Böse beherrschen. Die Geister unserer Ahnen helfen ihm dabei. Es ist das Böse, die Essenz des Traums, das Gift, das übrig bleiben würde, wenn man aufwacht, das er in der Muschel einfängt. Es ist gefährlich. Manchmal beginnen die Traumfänger in ihrer Trance wild zu tanzen. Oder sie schreien und schlagen mit den Armen um sich. Sehr selten kommt es vor, dass sich einer zu Tode stürzt. Das geschieht, wenn das Böse im Traum zu stark ist. Wenn es sich nicht einfangen lässt.« Der Alte senkte den Kopf. Er wirkte, als hätten traurige Erinnerungen ihn übermannt.
Emerelle ließ ihm Zeit, wieder zu sich zu finden. Ganz glauben mochte sie seine Geschichte nicht. Sie war der Überzeugung, dass das Hattah eine Rolle bei den bösen Träumen spielte und auch dabei, wenn die Traumfänger zu tanzen begannen. Wer in Trance auf der Spitze einer Felsnadel tanzte, der musste nicht über einen Traum verzweifelt sein, um sich zu Tode zu stürzen. Vielleicht glaubte der Alte ja wirklich alles, was er erzählte. Die Grauhäute hatten ja auch geglaubt, Trolle zu sein.
Endlich fasste sich Dobon wieder. Aber der Trotz war aus seinem Blick gewichen. »Du hast heute gesehen, wie wir kämpfen. Ereignisse dieser Art sind selten. Es kommt fast nie vor, dass einer der Stämme die Abgaben verweigert. Beurteile mein Volk nicht
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