Die Elfen 04 - Die Elfenkönigin
einlassen, wenn er es nicht schaffte, die Kehle zu erwischen. Das war selbstmörderisch. Und ziemlich mutig für einen Elfen.
Der Kleine musste sich ganz schön abmühen, um den Schlitten den anderen Hang wieder hinaufzubekommen. Endlich schickte ihm der Krieger mit dem Kettengeflecht vorm Gesicht zwei Männer zu Hilfe. Wie schwach die Menschenkinder waren und doch mutig. Er hoffte, dass die Geschichte von den heutigen Ereignissen bis ins fernste Dorf des Fjordlands getragen würde. Noch einmal könnte er sich solche Gnade nicht leisten. Das würde man in seinem Volk als Schwäche auslegen. Vielleicht war es auch genau das. Er hatte das Mädchen schon einmal entkommen lassen. Vor langer Zeit, als sie noch ein Kind war.
Er wusste mehr über sie, als er zugegeben hatte. Skanga hatte ihm von ihr erzählt. Die Menschentochter hatte sich einem Shi-Handan gestellt, und sie war bis an die Schwelle des Totenreichs gegangen, um Albenmark zu retten. Es war eine Reise gewesen, wie sie vor ihr noch niemand gewagt hatte. So sollte eine Königin sein. Er wollte sie zur Nachbarin seines Herzogtums haben und niemand anderen. Sie war würdig. So würde er es seinen Rudelführern erklären, wenn sie heute Nacht beisammensaßen. Er hatte entschieden, wer im Fjordland herrschen würde. Und er hatte die Einzige gewählt, die würdig war, an ihrer Grenze zu herrschen. Er war ein Königsmacher.
Orgrim schmunzelte. Das würde seinen Rudelführern gefallen.
Die Menschen zogen sich vom Hügelkamm zurück. Sie hatten sich um den Schlitten mit ihrer Königin geschart. Der Krieger mit dem Kettengeflecht vor dem Gesicht ging als Letzter. Er hob den Arm zum Gruß. Orgrim erwiderte die Geste nicht. So weit ging sein Respekt nicht.
DIE ZWEITE HAUT
Die Schritte verhielten einen Augenblick. Dann fanden sie zu ihr. Nach den Maßstäben für Kobolde war die Frau groß. Emerelle richtete sich auf. Das Koboldweib überragte um Kopfeshöhe ihr Knie. Sie hatte eine lange, leicht nach unten gebogene Nase. Ihre Gesichtszüge waren unter grauen Lehmschichten, auf die Zeichnungen aus Asche und Holzkohle aufgetragen waren, kaum zu erkennen. Ihre Augen stachen blendendweiß aus tiefschwarzen, aufgemalten Höhlen. Ihre Pupillen waren nur winzige Punkte inmitten schmutziggrüner Iris. Ihr Haar war mit Lehm durchsetzt und zu einer spiralförmigen Frisur gedreht, die an ein Muschelhorn erinnerte. Obwohl, Frisur war eigentlich nicht das rechte Wort, denn ihre Haare wirkten wie ein solider Klumpen, der ihren Kopf nach hinten verlängerte.
Die Muschelschnüre, die sich zwischen ihren sackartigen, eingefallenen Brüsten kreuzten, wiesen sie als erfahrene Traumfängerin aus.
Sie trug einen sehr breiten Gürtel, von dem ein lehmfarbener Lumpenstreifen herabhing, der ihre Scham bedeckte. Auch waren daran etliche kleine Kürbisflaschen und Lederbeutel befestigt. Bei jeder ihrer Bewegungen schlugen einige der Kürbisfläschchen zusammen. Mit beiden Händen hielt sie einen offensichtlich recht schweren Tonkrug, der mit einem schmutzigen, feuchten Tuch versiegelt war.
»Ich bin Imaga«, sagte sie. Ihre Stimme war eine Überraschung. Sie klang jung und wohltönend. In Anbetracht der vielen Muschelhörner, die sie trug, hatte Emerelle mit einer älteren Frau gerechnet. Lehm, Gesichtsbemalung und ihre flachen Brüste hatten ihr Alter verschleiert.
»Es wäre gut, wenn deine Haut feucht wäre.« Sie setzte mit einem erleichterten Seufzer den schweren Tonkrug ab. »Wir werden keinen Lehm hier aus dem Fluss nehmen. Der ist nicht rein genug.« Sie deutete auf den Topf. »Dieser hier kommt aus dem Tal, in dem die Flügelpferde verbrannten. Er enthält eine Spur ihrer Asche. Alle Traumfänger benutzen ihn. Er ist erfüllt von starker Magie.«
Von den toten Pegasi zu hören, erstaunte Emerelle. Sie war überrascht, wie gut die Grauhäute die ältesten Legenden kannten. Geschichten, die andernorts schon vor vielen Jahrhunderten in Vergessenheit geraten waren. Wenngleich sie selbst den Tag, an dem die Pegasi starben, niemals, niemals aus ihren Erinnerungen würde verbannen können.
Die Elfe legte ihr Kleid ab und stieg in den seichten Fluss. Das Wasser war angenehm kühl.
Imaga goss aus einer ihrer Kürbisflaschen eine milchige Flüssigkeit in den Tonkrug. Dann beugte sie sich vor und begann den Lehm zu kneten, der dabei satte, schmatzende Laute von sich gab.
Emerelle sah eine Weile zu. Und Imaga bedrängte sie weder mit Worten noch Gesten. Sie war völlig in ihre Arbeit
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