Die Elfen 04 - Die Elfenkönigin
Knochen.
Emerelle zitterte vor Schmerz am ganzen Leib. Sie biss sich auf die Lippen. Ein dünner Faden Blut lief ihr über das Kinn. Unverwandt stierte sie auf die grässliche Verletzung. Falrach stockte der Atem. Weitere Knochen wuchsen aus dem Stumpf hervor. Ein Geflecht von Sehnen umgab sie. Und dann schlugen Adern aus der Wunde. Wie die zarten Arme von Seeanemonen, die im Gezeitenstrom wogten, bewegten sie sich und tasteten am Knochen entlang.
Das rote Licht wurde dunkler. Fester. Muskeln formten sich aus dem Nichts. Fingernägel krochen aus dem roten Fleisch.
Falrach stand leicht über sie gebeugt. Er schirmte sie' mit seinem Leib ab. So wie er es im letzten Augenblick seines früheren Lebens getan hatte. Überdeutlich sah er jede Einzelheit mit an. Hatte sich die Magie in den Jahrtausenden seit seinem ersten Tod so sehr gewandelt? Keine Macht, die er einst gekannt hatte, hätte ein so vollständig zerstörtes Körperglied wiederherstellen können. Wer die Gabe des Heilens besaß, vermochte Krankheiten zu bannen und schrecklichste Wunden wieder zu schließen. Doch das hier … Das war ganz anders als die Magie, die er einmal gekannt hatte. Es war widernatürlich. Nicht im Einklang mit der Magie der Welt.
Emerelles Hand war vollständig nachgewachsen. Sie streckte die Finger und ballte sie zur Faust. Ihre Haut war glatt und makellos. Sie unterschied sich in nichts von der Haut des Armes.
Das rote Licht war verschwunden. Die Kälte der Winternacht sickerte zwischen den Gitterstäben des Kerkers hindurch und vertrieb die schwüle Hitze.
Emerelle blickte zu ihm auf. Ihre Tränen hatten silbern schimmernde Spuren auf ihre Wangen gezeichnet. Sie hob die nachgewachsene Hand und strich ihm über die Lippen, als wolle sie ihm bedeuten zu schweigen. Die Fingerspitzen waren warm. Falrach zuckte zurück. Ein Schauder überlief ihn und fraß sich tiefer in sein Innerstes als der Atem des Winters. Diese Hand … Rein äußerlich unterschied sie sich in nichts von der Hand, die ihm noch gestern Morgen nach dem Erwachen das Haar aus dem Gesicht gestrichen hatte. Und zugleich unterschied sie sich in allem. Würde er je wieder ihre Berührung herbeisehnen?
Sollte sein Zurückweichen Emerelle verletzt haben, so ließ sie es sich nicht anmerken. Sie erhob sich. Wie klein und zerbrechlich sie wirkte!
Eine leichte Geste mit der Linken und ein geflüstertes Wort rissen die Tür des Kerkers aus den Angeln. Mit Donnergetöse prallte sie auf die gegenüberliegende Wand. Über ihnen erklangen erschreckte Rufe. Das Stampfen schwerer Trollfüße ließ die gewölbte Decke über ihren Häuptern erzittern.
An der Treppe, die nach oben führte, brannte eine Fackel. Ihr Licht zeichnete harte Schatten in das Gesicht der Königin.
Ein Troll, der in einer Wandnische gekauert hatte, erhob sich. Sein massiger Leib füllte den Gang und verschlang das Licht. Er wirkte benommen. Schlaftrunken.
Falrachs Hand fuhr unwillkürlich an seine Hüfte. Da war kein Schwert. Sie besaßen keine Waffe.
Der Troll schnitt eine Grimasse. In der Rechten hielt er eine Kriegskeule, die er langsam hin und her schwingen ließ. Der Gang zur Treppe war zu eng, um dieser Waffe ausweichen zu können. Sie waren ihm ausgeliefert! Auch ein Schwert hätte hier nichts ausrichten können. Emerelle blieb ganz ruhig.
»Stell dich hinter mich«, flüsterte Falrach. Er wusste nicht, wie er den Troll aufhalten sollte. Ob Ollowain es vermocht hätte?
Emerelle stieß einen knappen Laut aus. Scharf. Schneidend. Dabei machte sie eine Bewegung, als wolle sie Wasser von ihren Händen schütteln. Ein Sirren folgte. Die weiten Ärmel ihres Mantels schössen vor wie die Fangarme eines Kraken. Der Stoff schlang sich um den gedrungenen Hals des Trolls. Er wurde zu Boden gezerrt. Trotz des Getrampels und der Alarmrufe war das Knacken, mit dem sein Genick brach, deutlich zu hören.
»Wer durch die Macht des Grauens regiert, der wird zuletzt selbst durch das Grauen verschlungen werden.«
Mehr noch als ihre Worte erschreckte Falrach der Tonfall, in dem sie sprach. Und er ahnte, dass das, was nun kommen würde, die Schrecken der Schmiede wie einen dummen Scherz erscheinen lassen würde.
IM HAUS DER KÖNIGIN
Mach endlich!«, zischte Lambi dem Mann mit der Axt zu. Narvgar hielt die schwere Waffe umklammert und regte sich nicht. Bei Luth! Gab es denn nur noch Feiglinge? Er war mit Narvgar einst in der Albenmark gewesen und hatte gegen Trolle gekämpft. Aber heute Nacht schien den alten
Weitere Kostenlose Bücher