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Die Elfen des Sees

Die Elfen des Sees

Titel: Die Elfen des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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warum ich nicht fort will. Für einen Augenblick war sie sich sicher, dass Gilraen ihr nun die Nachricht von Dirairs Tod überbringen würde, und wappnete sich innerlich gegen den Schmerz, aber die Hohepriesterin schien etwas anderes im Sinn zu haben.
    »Wir Sehenden werden immer wieder aufs Neue geprüft«, sagte sie und wandte das Gesicht wieder dem Wasser zu. »Oft sind wir versucht, das Schicksal in andere Bahnen zu lenken, vor allem, wenn uns das, was wir sehen, nicht gefällt. Aber du und ich und mit uns alle Sehenden, wir wissen, dass es ein sinnloses Unterfangen wäre. Der Weg mag sich ändern lassen, wenn wir die Kraft dazu haben, das Ziel aber steht fest. Irgendwann wird alles so kommen, wie das Schicksal es für uns vorherbestimmt hat.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und fuhr dann fort: »Ich habe dich gesehen. Lya-Numi. Ich sah dich an meiner Seite. Du hast meine Hand gehalten. Du hast geweint, und ich … ich habe dir die Hand auf die Stirn gelegt und dir mit meinem letzten Atemzug das geheime Wissen übertragen, das sich nicht erlernen lässt und dich zur Hohepriesterin macht – zu meiner Nachfolgerin.«
    »Ihr habt Euren Tod gesehen?« Die Wendung, die das Gespräch nahm, überraschte Lya-Numi. »Wann …?«
    »Wann es so weit sein wird?« Gilraen schmunzelte. »Nun, eine Weile wird es schon noch dauern«, sagte sie leichthin. »Dessen ungeachtet spüre ich, dass es Zeit wird, meine Nachfolgerin zu benennen. Ein Hohepriesterin muss vieles lernen. Bis sie bereit ist, das geheime Wissen zu empfangen, vergehen etliche Sommer.«
    Lya-Numi schaute auf das Wasser hinaus und schwieg lange. Dann fragte sie: »Warum ich?«
    »Weil du siehst«, wiederholte die Hohepriesterin geduldig. »Nur wenigen Nebelelfen wird die Gabe zuteil, die dir gegeben ist. Bei vielen von ihnen ist sie schwach ausgeprägt, manche erkennen sie gar nicht, andere fürchten und verdrängen sie. Du aber hast sie angenommen und gelernt, sie zum Wohle aller zu nutzen. Ohne fremde Hilfe oder Lehrmeisterin bist du sehr weit gekommen. Du bist nicht nur gut, du bist die Beste. Das ist es, was mich so sicher macht. Selbst wenn ich dich in der Vision nicht gesehen hätte, hätte ich dich erwählt.«
    Wieder schwieg Lya-Numi. Sie wusste, dass die Hohepriesterin mit allem, was sie sagte, recht hatte. Wenn es ihr vom Schicksal bestimmt war, Hohepriesterin zu werden, dann würde es auch so kommen. Eine Weigerung bedeutete einen Aufschub, keine Wende. Wie das Wasser einen Hang hinabfloss und sich hinter jedem Damm einen neuen Weg bahnte, so würde auch das Schicksal unermüdlich seinen Lauf nehmen und alles daransetzen, den vorbestimmten Plan zu erfüllen.
    »Aber ich kann nicht mitkommen.« Lya-Numi antwortete, ohne nachzudenken. »Ich … ich will … ich muss hierbleiben. Ich habe es Dira …« Sie verstummte. Auf keinen Fall sollte die Hohepriesterin von ihr etwas über Dirair erfahren. Zu groß war die Angst, aus ihrem Mund das zu hören, was sie nicht hören wollte. »Außerdem ist beschlossen, dass ich meinem Vater folge und Fischerin werde«, sagte sie schnell, und diesmal war es die Wahrheit.
    »Du hast einen älteren Bruder, der diese Aufgabe jetzt schon ausfüllt und mit Freuden übernehmen würde.«
    »Genau wie ich.« Lya-Numi legte allen Trotz, den sie aufbringen konnte, in die drei Worte, schob die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Sorgen und Nöte gingen die Hohepriesterin nichts an. Und was das Gerede von der Unausweichlichkeit des Schicksals anging – auch Hohepriesterinnen konnten sich irren. Lya-Numi war fest entschlossen, allein über ihre Zukunft zu entscheiden, und es gab für sie keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sie diese an Dirairs Seite hier am See verbringen würde.
    »Es wird dir bei uns gefallen«, hörte sie Gilraen in ihre Gedanken hineinsagen. »Wir Priesterinnen sind wie eine große Familie. Du wirst lernen, deine Kräfte zu entfalten und Magie zu wirken. Du wirst lernen zu heilen, und«, sie machte eine bedeutungsvolle Pause, »du wirst einen Riesenalp reiten.«
    »Wirklich?« Lya-Numi horchte auf.
    »Natürlich.« Die Hohepriesterin hob die Stimme ein wenig an. »Wie es sich für eine Hohepriesterin geziemt, wirst auch du später einen Riesenalp zum Gefährten haben.«
    Lya-Numi starrte angestrengt auf das Wasser hinaus. Zum ersten Mal war es Gilraen gelungen, ihr Interesse zu wecken. Aber der Trotz war stärker. Vermutlich hatte ihre Mutter ausgeplaudert, dass sie sich

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