Die Elfen
dass er mit ihnen von dort fortgegangen war und hier manche Heldentat vollbracht hatte. Was sie aber über ihn zu erzählen wussten, das widersprach dem Bild, das er von sich selbst gezeichnet hatte. Sie sprachen von einem Helden, wie sie in den alten Liedern besungen wurden. Doch was hatte er in diesem Leben schon geleistet, um solche Anerkennung zu verdienen? Nichts!
Wengalf riss Nuramon aus seinen Gedanken. »Wir sind fast da. Wir müssen hier entlang.« Der Zwerg bog in einen breiten Gang ein. Es war kühl hier, was so gar nicht zu dem warmen Licht passte, das die Barinsteine in den Wänden spendeten. In einiger Entfernung konnte Nuramon ein kräftigeres Licht sehen, das bis in die Gänge strahlte.
»Was ist dies für ein Ort?«, fragte Nuramon.
»Das sind die Hallen der Gesichter«, antwortete der Zwergenkönig rätselhaft.
Sie kamen dem hellen Licht immer näher, und bald schien es, als hafteten Schnee und Eis an den Wänden und spendeten Licht. Doch dann erkannte Nuramon, dass es sich um Kristalle handelte. Als sie das Licht erreicht hatten, sah Nuramon, wie die Wände beschaffen waren: Weiße Mineralien wuchsen in dünnen Kristallnadeln aus den Wänden und wirkten wie helle Grasbüschel. Jenseits dieses Wegstücks öffnete sich der Gang zu einer runden Halle mit einer vergleichsweise niedrigen Gewölbekuppel. In der Mitte ließ eine runde Öffnung das Licht von der Decke herab auf einen elfenhohen Bergkristall fallen. In diesem Kristall befand sich eine Gestalt. Sie war darin gefangen und stand aufrecht.
»Du hast mich nicht gefragt, was wir nach deinem Tod mit deinem Körper gemacht haben«, sagte Wengalf leise, als sie dem großen Kristall entgegentraten.
Nuramon erschrak. Vor ihm im Kristall stand ein Elf in einer Metallrüstung. Seine Augen waren geschlossen, als schliefe er. Nuramon war es, als blickte er in einen Spiegel. Gewiss, dieser Mann dort hatte schwarzes Haar und nicht braunes, und es war viel länger als seines. Das Gesicht des Mannes war ein wenig breiter, die Nase kürzer. Aber trotz der Unterschiede erkannte er sich selbst in dem Elfen wieder. Die Zwerge hatten seinen toten Körper in diese Halle gebracht und mit ihrer magischen Kunstfertigkeit in den Bergkristall gebannt. Das Ergebnis wirkte wie die Statue eines Helden. Nuramon schritt um den Kristall herum und musterte den Körper seines früheren Lebens. Im Vergleich zu diesem Krieger mit den breiten Schultern und der edlen Haltung musste er wie ein Kind wirken. Und doch konnte es keinen Zweifel geben, um wen es sich handelte.
»Wieso macht ihr das?«, fragte er Wengalf. »Wieso bahrt ihr die Körper auf? Wie soll ich an ein großes Leben glauben, wenn ich hier den Körper eines anderen vor mir sehe?«
Wengalf blickte ernst zu ihm auf. »Thorwis meinte, es sei der rechte Zeitpunkt, zu dem du dies sehen solltest. Und ich bin derselben Ansicht. Du musst lernen, dass du viel mehr bist als dein Körper.« Er deutete auf den Kristall. »Diesen da hast du im Tode abgelegt wie eine Rüstung, die ihre Tage gesehen hat. Und was für Tage das waren!« Der Blick des Zwergenkönigs fuhr ins Leere. »Der Tod ist schmerzvoll und die Erinnerung an ihn selten angenehm. Doch wenn ich in diese Hallen komme, um meine alten Körper zu sehen, dann stärkt mich das. Ich betrachte mein früheres Gesicht und erkenne, was ich war. Meine Erinnerung klärt sich. Denn im Angesicht meiner einstigen Körper fühle ich mich in alte Zeiten versetzt.«
Wengalf hatte Recht. Warum den Leib vergehen lassen, wenn sein Anblick als Brücke in die Vergangenheit dienen konnte? Nuramon trat nahe an den Stein heran. Jetzt erst bemerkte er, dass etwas an den Kristall gelehnt war. Er hatte es übersehen, so sehr hatte ihn die Gestalt in den Bann gezogen. Da war ein Schwert mit Gürtel und Scheide, daneben ein gespannter Bogen mit einem Köcher voller Pfeile. »Warum sind die Waffen dort nicht mit ihm eingeschlossen?«, fragte er den Zwergen-könig.
»Das ist eine kluge Frage. Selbst ein Zwerg würde diese Frage stellen.« Der König trat an seine Seite und schaute zu dem alten Körper Nuramons auf. »Du und ich haben oft über den Tod gesprochen. Thorwis hat uns gesagt, dass deine Seele nach Albenmark zurückkehren wird, wenn du stirbst. Und dort war niemand, der dir die Geschichte deines Lebens erzählen konnte. Du musst wissen, dass du dort damals einigen Spott ertragen musstest, weil du wiedergeboren warst.«
Nuramon dachte an seine Sippe. Sie lebten gewiss immer noch
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