Die Elfen
würde er durch Noroelles Augen sehen. Er blickte ins Antlitz der Königin; in ihren Zügen spiegelten sich Entschlossenheit und beherrschte Trauer. Das Bild verschwamm. Farodin schlug die Augen auf. Er stand vor einer Kleiderpuppe, über die ein Gewand aus blauer Seide gespannt war. Es war durch-wirkt von Silber- und Goldfäden, die verschlungene Runenmuster formten. Wie Knochen zeichneten sich die Weidenruten durch das Licht der Kerze unter dem Kleid ab.
Farodin lief ein Schauer über den Rücken. Dies also hatte Emerelle getragen, als sie seine Liebste verbannt hatte. Seine Finger glitten über den zarten Stoff. Tränen traten ihm in die Augen. Lange stand er einfach nur da und rang um seine Beherrschung.
Die Runen auf dem Gewand waren durchdrungen von magischer Macht. Wenn seine Finger sie streiften, dann spürte er ein Prickeln auf der Haut und mehr… Er durchlebte Noroelles Gefühle im Augenblick des Abschieds. Etwas von ihnen war in den Runen gefangen. Und da war keine Angst. Sie hatte sich in ihr Schicksal ergeben und war im Frieden mit sich und der Königin g e g an g en .
Farodin schloss die Augen. Er zitterte jetzt am ganzen Leib. Die Macht der Runen hatte auch ihn durchdrungen. Er sah ein Stundenglas auf einem Stein zerbrechen und spürte, wie das magische Gleichgewicht erschüttert wurde. Der Weg zu Noroelle war verschlossen. Sie war entrückt. Unauffindbar .
Der Elf brach in die Knie. In verzweifeltem Trotz wob er noch einmal den Zauber des Suchens. Er hatte gewusst, was geschehen war. Doch es nur zu wissen oder es durch die Macht der Runen mitzuerleben waren zwei verschiedene Dinge…
»Kommt«, flüsterte er. »Kommt zu mir!« Er hielt die Hand ausgestreckt und dachte an das Stundenglas. Wind zerrte an ihm und wollte ihn fortreißen. Er war inmitten wirbelnden Sandes, schien im Strudel des Stundenglases gefangen.
Erschrocken schlug Farodin die Augen auf. Es war nur eine Vision, ein Trugbild, geboren aus seiner Sehnsucht, und doch . In der Gewandkammer schien es dunkler geworden zu sein, so als wäre dort etwas Fremdes. Etwas, das das Licht der Kerzen langsam erstickte.
Drei winzige, glühende Pünktchen erhoben sich von der kalten, blauen Seide und schwebten in Farodins Hand. Drei Sandkörner aus dem Stundenglas, das Emerelle zerschlagen hatte. Sie mussten sich in den Falten des Gewandes verfangen haben.
Der Zauber und der Sturm seiner Gefühle hatten Farodin entkräftet. Und doch pflanzten die drei langsam verblassenden Lichtpunkte den Keim neuer Hoffnung in sein Herz. Er würde Noroelle wiederfinden, und wenn er noch einmal siebenhundert Jahre nach ihr suchen musste. Er schob den Smaragd tief in die Hosentasche. Die Sandkörner aber wollte er fest in der Hand behalten. Sie waren der Schlüssel. Wenn er alle Sandkörner aus dem zerschlagenen Stundenglas wiederfand, dann konnte er den Zauber der Königin brechen. Dies war der einzige Weg, der zu seiner Liebsten führte!
AUFBRUCH BEI NACHT
Es war tief in der Nacht, und in der Burg war es still geworden. Von draußen drang das leise Rauschen des Windes herein. Nuramon blickte durch das offene Fenster in die helle Nacht hinaus. Es hatte aufgehört zu schneien. Das Licht des Mondes wurde vom Schnee reflektiert und verlieh allem einen silbernen Schein. Bald würde der Morgen kommen, und aus Silber würde Gold werden. Einen geeigneteren Zeitpunkt konnte sich Nuramon für seine Abreise nicht vorstellen.
Seine Sachen waren gepackt, alles war bereit. Noch in dieser Nacht wollte er aufbrechen. Sein Blick fiel auf die Rüstung und den Mantel, die wieder auf dem Ständer hingen. Sie hatten ihm in der Menschenwelt gute Dienste geleistet. Nun aber war Nuramon in jene Kleider gehüllt, in denen Noroelle ihn zuletzt gesehen hatte. Es war schlichte Kleidung aus weichem Leder. Sie bot ihm zwar kaum einen Schutz im Kampf, aber er bezweifelte, dass er dessen bedurfte. Schließlich ging es nicht darum, einer Bestie gegenüberzutreten, sondern darum, einen Mann zu töten, der wahrscheinlich wehrlos war. Es lag nichts Glanzvolles in dieser Aufgabe. Er würde sich auf immer dafür schämen.
Er betrachtete sein Schwert. Die Königin hatte ihm tatsächlich das Schwert der Gaomee geschenkt. Sie wollte offenbar, dass er seinen Auftrag mit dieser Klinge ausführte. Seit er die Waffe zur Hand genommen hatte, schien ein Fluch an ihr zu haften. Aber er würde sie deswegen nicht fortgeben. Wer würde diese Waffe noch tragen wollen, nachdem seine glücklosen Finger sie
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