Die Elfen
die er im frischen Schnee hinterlassen hatte, und drückte dann vorsichtig die Tür auf. In all den Jahrhunderten, die er Emerelle nun schon als ihr geheimer Henker diente, hatte er niemals ihre Gemächer betreten. Er war überrascht, wie bescheiden sie ausgestattet waren. Die wenigen Möbel waren von schlichter Eleganz. Die Glut des niedergebrannten Feuers im Kamin tauchte das Schlafgemach in rotes Zwielicht. Es war angenehm warm.
Farodin sah sich verwirrt um. Er wusste, dass es eine Gewandkammer geben musste, einen Raum, in dem die Königin ihre prächtigen Kleider verwahrte; Noroelle hatte einmal davon gesprochen. Hier sollte seine Suche beginnen! Er musste das Kleid finden, das Emerelle getragen hatte, als sie Noroelle in die Verbannung geführt hatte. Aber wo mochte sich der Zugang zur Gewandkammer verbergen? Außer der Flügeltür zum Balkon und einer Tür, die hinaus zum Treppenhaus führen musste, sah er keine weitere. Er tastete die Wände ab, blickte hinter Gobelins und blieb schließlich vor einem großen Spiegel stehen. Er war in einen Rahmen aus Ebenholz mit Perlmuttintarsien gefasst. Farodins Finger glitten über die stilisierten Blüten und Blätter. Eine Rose war von einer deutlich sichtbaren Fuge umgeben. Vorsichtig drückte der Elf auf das Perlmuttstück. Ein leises Klicken erklang, dann glitt der Spiegel zur Seite. Überrascht trat Farodin einen Schritt zurück. Hinter dem Spiegel lag ein Raum voller leuchtender Gestalten. Kopfloser Gestalten . Der Elf atmete aus und lachte leise. Es waren nur Kleider. Man hatte sie auf Puppen aus Weidengeflecht gespannt, damit sie ihre Form behielten. Unter den Kleiderpuppen standen Duftkerzen, welche sie wie große Lampions leuchten ließen.
So schlicht das Schlafgemach der Königin war, so wunderbar war diese Kammer. Farodin war ganz benommen von der Vielzahl der Gerüche. Pfirsich, Moschus und Minze waren die vorherrschenden Duftnoten. Emerelle kleidete sich nicht nur in Gewänder, sie kleidete sich auch in Düfte.
Die Kammer krümmte sich entlang der Außenwand des Turms, sodass man von der Tür aus nicht den ganzen Raum überblicken konnte. Farodin trat über die Schwelle; mit leisem Schaben schloss sich die Spiegeltür hinter ihm. Noch immer war der Elf ganz gefangen von der Vielzahl der Eindrücke. An den Wänden waren Samtkissen auf kleine Simse gebettet und prunkten mit dem Schmuck der Königin. Perlen und Edelsteine in allen Regenbogenfarben funkelten im warmen Licht. Es musste eine Lust sein, zwischen all den Kleidern und dem Schmuck zu träumen.
Fenster gab es hier seltsamerweise keine.
»Noroelle«, flüsterte der Elf. Sie hätte die Gewandkammer der Königin geliebt. Die Vielzahl der Kleider. Jagdkostüme in Samt und Wildleder, Abendkleider aus erlesener Spitze, hauchzarte, durchscheinende Seidengewänder, die Emerelle gewiss niemals in Gegenwart des Hofstaats tragen würde. Prächtiger Brokat, in Form gehalten von Walbarten und Draht; Korsagen steifer Feierlichkeiten und eines Hofzeremoniells, das sich in Jahrhunderten nicht geändert hatte.
Ellenlange Regale waren gefüllt mit Schuhen, die auf Spannern aufgezogen waren. Schmale Tanzschuhe, Schuhe aus Stoff und Stiefel mit schweren Lederstulpen. Ein breites Sims lag voller Handschuhe.
Farodin kniete nieder und holte aus seinem Lederbeutel einen Ring hervor; drei kleine, dunkelrote Granate waren darin eingelassen. Es war Aileens Ring. Auf der Suche nach ihr war er ihm eine große Hilfe gewesen. Er war ein Anker, fest in den Abgründen der Vergangenheit verkeilt, und er half Farodin, sich auf seine Geliebte zu konzentrieren. Der Smaragd, das Abschiedsgeschenk Noroelles, würde ein zweiter Anker sein. Leise flüsterte er die vertrauten Worte der Macht und wob den Zauber des Suchens. Es war der einzige Zauber, den er gemeistert hatte, und er war erprobt in den Jahrhunderten der Suche nach Aileen.
Unter all den Kleidern dieser Kammer musste auch jenes Gewand sein, das Emerelle getragen hatte, als sie Noroelle in die Verbannung verstoßen hatte. Wenn er es fand, mochte dies der erste Schritt zu Noroelle sein. Farodin hatte einen Plan, der so verzweifelt war, dass er zu niemandem darüber sprechen würde.
Die Macht des Zaubers durchdrang den Elfen. Er griff nach dem Edelstein. Dann richtete er sich langsam auf. Mit geschlossenen Augen tastete sich Farodin durch die Gewandkammer, geführt allein von einem vagen Gefühl. Sehnsucht und Erinnerung verdichteten sich. Einen Herzschlag lang war ihm, als
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