Die elfte Geißel
würde.
»Wo sind die anderen? Du musst ...«
Das Rasseln eines Schlosses.
Sein Herz begann heftig zu pochen.
Er gab dem Mädchen durch eine Geste zu verstehen, still zu sein und sich nicht zu rühren.
Sich unter keinen Umständen zu rühren.
Er warf sich in eine der Zellen, prallte mit den Rippen gegen die Felswand. Er sah das Schimmern einer Jagdbüchse. In der Höhle eingezwängt, dem Gestank hilflos ausgesetzt, zielte er und betete, er möge die Kraft besitzen, die Sache konsequent durchzuziehen.
Eine Stimme drang aus der Hölle.
»Julia, du bist dran.«
78
Paris,
Mordkommission
Blandine, ihr Gesicht mit einem Arm schützend, wurde in einem Funkenschauer förmlich aus dem Wagen herausgeschleudert und fiel auf den Asphalt. Sie wälzte sich auf dem Boden, um das Feuer, das auf ihre Kleidung übergegriffen hatte, zu löschen. Die Schmerzen waren so stark, dass sie das Gefühl hatte, ihr ganzer Körper wäre von Brandwunden übersät.
Sie konnte nicht aufstehen, denn das Bild ihres in Flammen stehenden Körpers und des von der Haut abdampfenden Schweißes ging ihr nicht aus dem Sinn. Ihre Trommelfelle vibrierten, das rechte war in der heißen Druckwelle sogar geplatzt. Alle Schallwellen der Stadt schienen, enorm verstärkt, in ihrem Schädel zusammenzulaufen.
Sie kämpfte gegen die Migräne an, um ihre Selbstbeherrschung zurückzuerlangen. Sofortige Betäubung. Ein Krampf im Unterleib.
Am Ende der Avenue erblickte sie die Silhouette von Kommissar Rilk, der sich umdrehte. Sie sah, wie er kehrtmachte und auf sie zuging. Er zog seine Waffe und zielte auf sie.
Ein Aufblitzen. Ein Knall. Das Zischen eines Projektils, das ihre Wange streifte. Eine Schramme unter ihrem Backenknochen und ein Bluttropfen auf dem Asphalt.
Blandine schrie und sprang auf. Verwirrt begann sie, taumelnd, zu laufen und betete, die nächste Kugel möge sie verfehlen. Die Place de l’Étoile lag direkt vor ihr. Das Gejohle der Menge. Sie mischte sich unter die Demonstranten, strauchelte und stand unvermittelt vor einer Brandungswelle aus Menschen.
Im Westen drängte der Vorstoß eines Zugs Bereitschaftspolizisten die tobende Masse zum Arc de Triomphe ab. Die Lieutenante wollte zurückweichen, aber eine Tränengasgranate explodierte und hüllte eine Ecke des Platzes in dichten Nebel.
Alles ging jetzt sehr schnell.
Sie wurde von der wogenden Bewegung der Demonstranten mitgerissen, die zu den Metro-Eingängen strömten. Hier geschubst, da von Händen gepackt, verlor sie das Gleichgewicht und hielt sich strauchelnd an Körpern fest. Schon fürchtete sie, niedergetrampelt zu werden.
Eine zweite Granate explodierte. Blandine lief los, wie getragen von der Menschenmenge, die die Place de l’Étoile verwüstete. Hinter ihr dehnte sich die Rauchwolke rasch aus. Falls sie sie einholen sollte, könnte sie nicht mehr atmen, sich nicht mehr bewegen und würde überrannt. Der Druck der Menge in ihrem Rücken wurde stärker, er entsprach einer mit Vollgas betriebenen Dampfwalze.
Sie eilte die Treppe am Eingang der Metro-Station wie im Flug hinunter. Nur nicht stürzen. Der kleinste Fehltritt wäre fatal. Sie wurde gegen das Geländer geschleudert und hatte das Gefühl, dass das Eisen ihr Brustbein zerquetschte. Sie stöhnte unter der Wucht des Aufpralls und japste nach Luft.
Um sie herum Geschrei. Den Atem anhaltend und die Augen mit den Händen abschirmend, durchquerte sie eine Gaswolke. Sie registrierte das dumpfe Geräusch eines Körpers, der vor ihr stürzte. Ihre Füße versanken in etwas Weichem. Sie lief weiter – während ihre Haut und ihre Augen von den Rauchgasen glühten.
Die Menge ergoss sich auf die Bahnsteige und verlief sich in den Gängen. Die Scheiben eines U-Bahn-Zugs zerbarsten, und die Scherben flogen in alle Richtungen. Eine kollektive Angst hatte sich der Menschen in der Station bemächtigt.
In einem Anfall von Paranoia drehte sich Blandine um und suchte mit den Augen die verzerrten Gesichter in der Menge ab.
Dann erblickte sie ihn.
Etwa dreißig Meter entfernt.
Ihre Blicke begegneten sich, und sie sah die Pistole in seiner Hand funkeln.
»Lassen Sie mich durch! Ich flehe Sie an!«
Von der Menge verschluckt, versuchte sie sich einen Weg gegen den Strom zu bahnen. Sie stieß Menschen beiseite, gebrauchte die Ellbogen, aber ER verringerte den Abstand zu ihr.
In Todesangst warf sich Blandine auf den Boden und sah sich von einem Gewirr von Beinen umstellt. Sie kroch auf allen vieren durch diesen
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