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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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hoch.
    »Sämtliche Computer sind beschlagnahmt. Wir müssen das auf die altmodische Art machen.«
    Der Zeichner legte seinen Block auf die Knie und strich mit der Hand über ein neues weißes Blatt, um es zu säubern. Oben auf die Seite schrieb er: Kindergesicht. Léopold hielt ihm den Erkennungsbogen aus der Akte hin. Der Zeichner machte eine abwehrende Geste, als ob ihm das Blatt Angst einjagte.
    »Nein, ich kann nicht lesen und gleichzeitig zeichnen. Lesen Sie es laut vor.«
    Er schloss die Augen, wie wenn er meditieren wollte.
    »Die Kleine hat schwarze Mandelaugen. Die Brauen sind wenig markant. Ihr Gesicht ist rundlich, und sie hat ein Kinngrübchen.«
    Der Zeichner zog die ersten Striche, gekrümmte Linien, eine leichte Schraffur um die Augen. Léo wartete, bis er damit fertig wäre, doch der Mann winkte mit der Hand und murmelte, ohne den Blick vom Zeichenstift abzuwenden:
    »Fahren Sie fort ...«
    »Wenn sie lächelt, hat sie Grübchen. Volle Wangen. Sie hat eine Stupsnase und hervorstehende Wangenknochen, außerdem einen sehr langen Hals. Sie hat schimmerndes braunes Haar, das rechts zu einer abgestuften Ponyfrisur geschnitten ist.«
    Léo fuhr mit der Beschreibung fort, wobei er den Gesamteindruck des Gesichts hervorhob. Je länger er sie beschrieb, umso stärker hatte er den Eindruck, sie schon einmal gesehen zu haben. Dennoch erwartete er nichts Außergewöhnliches. Aber er wollte Gewissheit.
    Sämtlichen Spuren folgen. Er musste an die Ratschläge von Maxime Kolbe denken. Die Täter und die Opfer suchen. Die einen nicht von den anderen trennen.
    Das Geräusch eines Papiers, das abgerissen wird, holte ihn in die Wirklichkeit des kleinen Kabuffs zurück, zu den Kollegen, die schweigend rauchten, und zu dem jungen Mann hinter der Scheibe, der leise weinte.
    »So ungefähr muss sie aussehen.«
    Als Léopold die fertige Zeichnung sah, traute er seinen Augen nicht. So viel hatte er sich nicht erhofft.
    Er stürzte aus dem Büro, ohne sich zu verabschieden. Er bahnte sich einen Weg durch das laute, hektische Treiben, ohne etwas zu hören oder zu sehen. Ihm schwirrte der Kopf. Mit großen Sätzen eilte er die Treppe hinauf. Sein Gehirn arbeitete auf vollen Touren, hin- und hergerissen zwischen dem, was er glaubte, und der Tatsache, dass dies unmöglich war. Er musterte eingehend die Fotos der vergrößerten Kindergesichter, die an die Wand gepinnt waren.
    Die Zeit schien stillzustehen. Das verängstigte Gesicht eines Mädchens auf einem der Fotos war wie ein Abziehbild des gezeichneten Gesichts.
    Mist.
    Höchstwahrscheinlich war Julia Verno eines der Opfer.

23
La Courneuve,
Cité des 4000,
Mordkommission
    »Kaffee, Lieutenante?«
    Ohne zu antworten, nahm Blandine den Becher aus der Hand des Beamten. Seit dem Morgen hatte sie nichts gegessen, und sie fühlte sich fiebrig. Sie versuchte die Unterzuckerung zu vergessen. Ungeduldig auf das Anzeichen wartend, welches das Ende des Alptraums ankündigte, starrte sie auf die Rahmfäden, die an der Oberfläche des Kaffees umherwirbelten. In dem opaken Spiegel sah sie nur ihre Augen und die unruhige Hoffnung, die sie durchzuckte.
    Der Rechtsmediziner und zwei Experten von der Spurensicherung waren an der Leiche zugange, die aus der Badewanne herausgenommen und auf eine Kunststoffplane gelegt worden war. Fast alles, was sich im Badezimmer befand, – Fläschchen, Cremes, etc. – wurde in nummerierte Beutel gepackt. Der Rechtsmediziner verglich flüchtig die Klinge des Cutter-Messers, das neben der Leiche gefunden worden war, mit den Wunden an den Handgelenken. Einer der Experten puderte sehr schnell die Zonen, die möglicherweise berührt worden waren. Eine schludrige Art und Weise, Fingerabdrücke zu nehmen.
    Der junge Polizist, der noch immer neben dem Bett stand, räusperte sich und sprach mit ängstlicher Stimme.
    »Es ist dunkel. Sie sollten gehen. Es wird hier allmählich ungemütlich, und vielleicht müssen wir das Gebäude räumen.«
    Blandine, gedankenverloren, zwang sich dazu, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Die Schreie und die Beschimpfungen, die von außen in die Wohnung drangen, nötigten sie dazu, aufzustehen. Es bestand die Gefahr, dass die gesamte Cité jeden Moment explodierte.
    Als sie die Wohnung verließ, versuchte sie, sich an möglichst viele Details der Szene zu erinnern. In ihrem Kopf umschlangen sich die blutverschmierten Körper von Amandine und ihrer Mutter in einer morbiden Umarmung.
    Im Flur hatten mit Maschinenpistolen bewaffnete

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