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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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nicht, das tun andere Polizisten. Ich versuche herauszufinden, wo sie sich aufhalten.«
    »Ich habe dir doch gesagt, dass er kein richtiger Polizist ist«, flüsterte der Jüngere. »Es ist wie bei Opa, der ist auch kein richtiger Arzt.«
    »Und wieso bin ich kein richtiger Arzt?«, murrte Firsh hinter ihnen.
    »Du behandelst die Leute nicht. Sie sind schon tot«, antwortete der große Bruder.
    »Und wenn ich euch eine Spritze gebe, um euch zu zeigen, dass ich ein richtiger Arzt bin?«
    »Nein! Nein!«
    Die beiden Bengel schrien und begannen, schrill auflachend, durch die Wohnung zu laufen, verfolgt von ihrem Großvater. Léo stellte das Geschirr in der Küche ab und beneidete diese Familie um ihr unverkennbares Glück. Es schien so einfach, so leicht zu sein.
    Während er das Besteck in den Geschirrspüler einräumte, versuchte er sich in einem Rollenspiel und träumte sich ins familiäre Paradies hinein – er nahm an Elternabenden und an Theatervorstellungen zum Abschluss des Schuljahres teil. Er sah sich als engagierter Vater, als aufmerksamer Ehemann. Und vor allem sah er sich als einen glücklichen Menschen.
    Gegen Mitternacht verabschiedete er sich und kaum, dass er wieder alleine war, brach der Zauber schnell in sich zusammen. Nachdem ihn der Alkohol zunächst euphorisch gestimmt hatte, bewirkte er jetzt das Gegenteil. Auf dem wie ausgestorbenen Gehsteig erschauerte Léo. Die Bars hatten sich geleert, und die Kellner stapelten die Stühle und räumten die Gläser weg. Die Straßen, von denen alles Leben wie abgesaugt zu sein schien, machten einen feindseligen Eindruck auf ihn.
    Er bemühte sich nach Kräften, das Idyll eines ungetrübten Glücks in sich wiederaufleben zu lassen, aber schon bald wackelten die Bilder wie die eines alten Werbefilms, weil der Filmstreifen total abgewetzt war. Seine Psyche war zu mitgenommen, sein Gedächtnis zu ramponiert, seine Wirklichkeit zu zerstückelt. Er hatte einer Frau nichts zu bieten, keine rosige Zukunft zu versprechen – nicht, solange er diese Arbeit machte. Und er konnte jetzt nicht aussteigen. Noch nicht. Solange er diesen Fall noch nicht abgeschlossen hatte. Wenn er dem Glück eine Chance geben wollte, musste er reinen Tisch machen und das beenden, was er angefangen hatte.
    Er bräuchte nur noch etwas Zeit.
    Mit gesenktem Kopf beschleunigte er seinen Schritt, bereit, es mit dem Rest der Welt aufzunehmen.
    Allein in seinem Wohnzimmer, näherte sich Léo der Wand, und irgendetwas drängte ihn dazu, das Foto von Alice Deloges abzureißen. Er hatte nicht die Kraft, es anzusehen. Er begnügte sich damit, es umgedreht mit Tesafilm festzukleben – ein weißes Viereck anstelle des Gesichts.
    Sich wieder in den Fall vertiefen. Sich mit Arbeit betäuben. Vergessen.
    Der Film, den er ins Netz hochgeladen hatte, war der gleiche wie auf der DVD. Das Spionageprogramm, das er an das Video von der kleinen Alice angehängt hatte, hatte bislang keine Ergebnisse erbracht. Vermutlich hatte es sein Empfänger noch nicht geöffnet. Ihm blieb nichts zu tun, als abzuwarten, bis Stairway to Heaven das Spionageprogramm aktivierte. Sobald er ihn aufgespürt hätte, würde er ihn sich schnappen und ihm entlocken, wo er diesen Film aufgetrieben hätte. In der Zwischenzeit musste er sich auf die anderen Facetten des Falls konzentrieren. Er nahm die Liste hervor, die er am Morgen erstellt hatte, und markierte auf einer Karte Frankreichs die Orte, an denen Kinder verschwunden waren, auf die die Personenbeschreibung passen könnte. Er wählte die Nummer des Polizeipräsidiums in Clermont-Ferrand, während er die Akte von Julia Verno durchblätterte.
    Nach dreimaligem Läuten antwortete ihm eine Telefonistin mit müder Stimme:
    »Polizeipräsidium, ja bitte?«
    »Guten Abend. Lieutenant Apolline, Sondereinheit der OCLCTIC. Ich hätte gern Informationen über eine Ihrer Suchanzeigen.«
    »Die zuständige Abteilung ist um diese Uhrzeit leider geschlossen.«
    »Könnten Sie vielleicht für mich in einer Ihrer Akten nachsehen?«
    »Dazu bin ich nicht befugt ...«
    »Bitte, es eilt.«
    »Ich werde sehen, was ich tun kann ... geben Sie mir Ihre Kennnummer.«
    Er wartete einige Sekunden, und das Schweigen am anderen Ende der Leitung ließ ihn glauben, sie hätte aufgelegt.
    »Schießen Sie los, was wollen Sie wissen?«
    »Ich hätte gern alle Ihre Informationen über Julia Verno.«
    »Das verschwundene Mädchen? Eine üble Geschichte. Die Gendarmerie hat nichts herausgefunden. Haben Sie

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