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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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Autofahrer hat nach der Personenbeschreibung im Radio geglaubt, den Jungen gesehen zu haben. Nach seiner Aussage saß der Junge in einem Auto, das ihn überholte, und der Junge hätte ihm verzweifelt zugewinkt. Vor Ort war es dann ein Fiasko. Der Fahrer war sternhagelvoll, zwei Promille, und niemand außer ihm hatte den Jungen gesehen. Der Ermittlungsrichter wollte kein Verfahren einleiten.«
    Léo legte nachdenklich auf. La Creuse. Womit ließ sich diese Information in Verbindung bringen? Er verlor sich in einem Gewirr von Hypothesen. Wie er es auch drehte und wendete, er landete in einer Sackgasse, und jeder noch so kleine Lichtblick erwies sich als trügerisch.
    Die mit Tesafilm an die Wand hinter seinem Schreibtisch geklebten Fotos von Kindern starrten ihn an, was er auch tat, und dieses Angestarrtwerden jagte ihm einen kalten Schauder über den Rücken. Das Gesicht des namenlosen Mädchens suchte ihn mit seinem Blick zu durchdringen. Das dunkle Geburtsmal hob sich von seinem blassen Nacken ab. Ein Herz auf der Haut. Die Sonnenstrahlen, die den Raum glutrot färbten, ließen das braune Haar des Mädchens am Scheitel schimmern. Stutzig geworden, ging er auf das Bild zu und blieb unvermittelt stehen.
    Wie hatte ihm das entgehen können?
    Er setzte sich hastig an seinen Computer und scrollte sich sehr schnell durch die Fotos durch. Er zoomte den Kopf des Mädchens heran.
    Die Haarwurzeln waren blond, von einem aufreizenden Blond.
    Die Mistkerle hatten der Kleinen die Haare gefärbt. Seine Hände zitterten über der Tastatur, als er die braunen Locken auf dem Bild markierte. Er legte die CD mit dem Programm für visuelle Bearbeitung ein und wählte aus der Farbpalette ein Blond, das identisch war mit dem der Haarwurzeln. Die digitale Bereinigung begann, Farbton für Farbton, und er konnte erkennen, wie sich das Gesicht verwandelte, aufhellte und weicher wurde. Er konnte einen Ausruf der Überraschung nicht unterdrücken, als er sah, wie das Mädchen in Wirklichkeit ausschaute.
    »Das gibt’s nicht ...«, stammelte er.
    Seine weit aufgerissenen Augen wollten es nicht fassen. Er hatte ein Phantom vor sich. Er hatte dieses Kind schon einmal gesehen. Er hatte gesehen, wie Maxime es in Fleisch und Blut auf seinen Armen aus dem Metro-Tunnel herausgetragen hatte. Und trotzdem war dies ganz eindeutig Alice Deloges, das Opfer in seinem ersten Fall, und sie hatte sich in all diesen Jahren nicht verändert. Im Geiste sah er noch einmal die rote Eingangstür des ehemaligen Hauses von Gaspard Fogeti, und er entsann sich wieder der Worte von Alice:
    »Die Tür war rot, als wäre sie von Blut überzogen. Er hat mir gesagt, dass er sie mit meinem Blut neu anstreichen wird ...«
    Das schrille Läuten des Telefons holte ihn aus der fernen Vergangenheit zurück in die Gegenwart des Büros.
    »Apolline? Ich habe einen Knüller.«
    Zoé Hermon schien am anderen Ende der Leitung schier aus dem Häuschen zu sein.
    »Halten Sie sich fest! Die Spyware, die Sie an das Video angehängt haben, das Sie an Stairway to Heaven geschickt haben, hat funktioniert. Sie hat uns zu Off-shore-Servern geführt. In letzter Minute hat die Falle zugeschnappt. Die erste Vernehmung ist in einer halben Stunde. Sie müssen kommen, die Kommissarin will, dass Sie das machen.«
    Sie legte auf, ohne Léo die Zeit zu lassen, selbst eine Frage zu stellen.
    Stairway to Heaven.
    Zoé hatte ihm nicht gesagt, wer sich hinter dem Pseudonym verbarg. Léo schätzte ab, wie die Chancen standen, dass er reden würde. Eins zu drei. Wenn er nicht redete, würde er ein wichtiges Bindeglied verlieren. Es schauderte Léo, und er hatte nicht den Mut, die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, mit der seine Ermittlungen im Sand verlaufen würden. Es stand zu viel auf dem Spiel.
    Wenn Stairway to Heaven nicht redete, hätte er keine Möglichkeit, herauszufinden, wie er an diese Filme gelangt war.

45
Paris,
Metro-Tunnel,
Mordkommission
    Blandine hatte etwa fünfzig Meter zurückgelegt, als die Luft plötzlich wärmer wurde. Der Boden und die Decke begannen zu beben, und die Erschütterungen wurden immer stärker. Die Lieutenante blieb wie angewurzelt stehen.
    Sirenen zerrissen die Stille. U-Bahn-Züge ratterten in Tunnels, die parallel zu dieser Röhre verliefen. Die Druckwellen schleuderten sie gegen die Mauer. Sie rutschte auf einer Schwelle aus, und die Taschenlampe fiel zu Boden, ihr Lichtkegel schwarz eingefärbt, bevor sie mit einem kurzen, lauten Geräusch zerbarst. Sie streckte

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